Ergebnisse zum Schlagwort: Ethik

Resolution 01 – Ethik in der Arbeitswelt

der AUGE/UG – Alternative, Grüne und Unabhängige GewerkschafterInnen
zur 170. Hauptversammlung der Bundesarbeitskammer am 17. Juni 2021

Antrag mehrheitlich zugewiesen

Antragsbehandlung im BAK-Vorstand

Die 170. Hauptversammlung der Bundesarbeitskammer möge beschließen:

  • Die Bundesarbeitskammer bekennt sich zu einer Ethik der Arbeitswelt.
    Sie umfasst das Recht auf menschenwürdiges Arbeiten und setzt sich
    für ein an sozialen und ökologischen Kriterien orientiertes
    Wirtschaftssystem ein.
  • Mit den Ressourcen der Bundesarbeitskammer sollen Modelle einer den Menschenrechten folgenden, auf Gleichberechtigung ausgerichteten, sozialen und gesunden Arbeitswelt entwickelt werden.
  • Dabei sind Transparenz, Informations- und Wissensvermittlung wesentliche Faktoren, um menschenwürdige Arbeit zu ermöglichen.

Insbesondere wird die Bundesarbeitskammer aufgefordert,

  • die Auswirkungen von Ökonomisierungs-, Digitalisierungs- und
    Deregulierungsprozessen auf Arbeitsbedingungen und Arbeitsinhalte zu erforschen, einen breiten Diskussionsprozess über diese Themen zu
    initiieren und dabei gewonnene Erkenntnisse in Gesetzesinitiativen
    einzubringen.
  • Beratungs- und Interventionsstellen zu schaffen, die Arbeitnehmer*innen und Betriebsrät*innen zur Verfügung stehen, wenn sie mit unethischen, Menschen und Umwelt schädigenden, ausschließlich an ökonomischem Nutzen orientierten Arbeitsbedingungen konfrontiert sind, oder durch Digitalisierung und Deregulierung eine Entwertung ihrer Arbeit erfahren.
  • Zudem wird die Bundesarbeitskammer aufgefordert, sich dafür
    einzusetzen, dass die Mitwirkungsrechte von Arbeitnehmer*innen und
    Betriebsrät*innen bei der Gestaltung von Arbeitsstrukturen und
    Arbeitsinhalten in den entsprechenden Gesetzen ausgeweitet werden.

Die Forderung nach einem guten Leben für alle charakterisiert seit einiger Zeit
gewerkschaftliche Organisation und Vertretung von Arbeitnehmer*innen-Interessen. Auch die Internet-Startseite der AK Wien stellt dieses einprägsame Leitmotiv ins Zentrum ihrer Informationsvermittlung.

Das gute Leben für alle verlangt nach einer Ethik der Arbeitswelt: Ethik ist jene
philosophische Teildisziplin, die seit der Antike die Frage nach einem guten,
gelungenen Leben und den ihm zugrundeliegenden, handlungsleitenden Werten
stellt. Auf Arbeit bezogen bedeutet diese Auseinandersetzung beispielsweise
Produktionsprozesse kritisch zu hinterfragen und auf allen Ebenen Orientierungshilfen zu entwickeln, deren Maxime nicht weniger als das gute Leben für alle ist.

Arbeiterkammern, Gewerkschaften und NGOs haben sich daher erst vor kurzem in einer europaweiten Kampagne mit der Verantwortung der Unternehmen für
menschenrechtswidrige und umweltschädigende Aktivitäten entlang ihrer Lieferketten, unabhängig davon, ob sich ihre Subunternehmen und Zulieferer in oder außerhalb der EU befinden, befasst. Denn das gute Leben für alle ist nicht teilbar, ebenso wenig wie die Grund- und Menschenrechte, die es ermöglichen.

Doch die Frage nach ethisch guter Arbeitsorganisation stellt sich nicht nur im
Zusammenhang mit der Ausbeutung von Menschen in Drittstaaten. Auch hier in
Europa und Österreich sind wir immer wieder von Neuem mit ethischen Problemstellungen konfrontiert, insbesondere wenn Ökonomisierung, Digitalisierung und Deregulierung Produktion und Dienstleistung dominieren.

Ökonomisierung
Die neoliberale Wirtschaftsideologie der letzten Jahrzehnte brachte mit sich, dass sämtliche Arbeitsfelder, inklusive Soziale Arbeit, Bildung, Kultur und Gesundheitswesen durchgängig von ökonomischen Gesichtspunkten dominiert wurden. Im Vertrauen auf die Wirksamkeit betriebswirtschaftlicher Instrumente wurde ökonomisch messbare Nützlichkeit annähernd überall zum obersten Leitprinzip erhoben. Darüber hinaus führte die Krise auf dem Arbeitsmarkt in der letzten Zeit zu einem gesteigerten Konkurrenzdruck.

Unter der Ausnutzung von Gesetzeslücken konnten große Konzerne in den letzten Monaten ihre Marktmacht ausbauen und auf Kosten der Arbeitnehmer*innen Rekordgewinne einfahren. Die Verletzung von arbeitsrechtlichen Bestimmungen, prekäre Beschäftigungsverhältnisse, massiver Arbeitsdruck bis hin zu Disziplinierungsmaßnahmen und permanenter Überwachung der Arbeitsleistung bei schlechter Entlohnung wurden zu ‚normalen‘ Begleiterscheinungen. Die Interessen der Beschäftigten, eine demokratische Betriebskultur, die Mitwirkung von Belegschaftsvertretungen fielen der Profitgier großer Konzerne zum Opfer.

Eine auf Profitmaximierung ausgerichtete Wirtschaftsweise wirkt zerstörend auf
Umwelt und Menschenrechte und fördert Ungleichheit. Und die Zerstörung des
Ökosystems durch die neoliberal gesteuerte, rein ökonomische Globalisierung der letzten Jahrzehnte ist darauf ausgerichtet, noch weit größere Krisen hervorzurufen, als wir sie gegenwärtig erleben.

Spätestens seit Ausbruch der Coronapandemie wird deutlich, dass Werte wie
Kooperation, Solidarität und ein achtsamer Umgang mit den Bedürfnissen der
Menschen zur Problembewältigung beitragen, während die neoliberale Ideologie der Ökonomisierung aller Lebensbereiche in der Krise versagt.

Übertragen auf die Arbeitswelt verlangt diese Erkenntnis in Betrieben und
Organisationen eine Ethik der Mitbestimmung, Fairness und Kooperation. Im Sinne des guten Lebens für alle muss die Erarbeitung sinnvoller Ergebnisse ermöglicht werden. Beispiele für sinnvolle Arbeitsergebnisse aufgrund ethischer Entscheidungen in der Arbeitswelt sind die Produktion und Wiederverwertung nachhaltig funktionsfähiger Produkte, die in einer Kreislaufwirtschaft CO2-sparend genützt werden können, sowie soziale Dienstleistungen, die über kurzfristige statistische Erfolge hinaus langfristig wirksam zur Lösung sozialer Probleme beitragen. Eine Ausweitung des Arbeitnehmer*innen-Schutzes und der Arbeitsverfassung sollte zur Verankerung dieser Werte beitragen und der Forderung nach dem guten Leben für alle die zu ihrer Durchsetzung nötigen Instrumente hinzufügen.

Digitalisierung
Der jüngste Digitalisierungsschub, ausgelöst durch die Corona Pandemie, sorgt in der Arbeitswelt für veränderte Realitäten. Schneller als angenommen, stellen wir uns neuen Herausforderungen: Viele von uns arbeiten im Homeoffice, E-Mails, Chats und vielfältige Videotools wurden zu unseren wichtigsten Arbeitswerkzeugen.

Schon vor dieser Digitalisierungswelle wurden Arbeitsabläufe mittels Prozess- und Qualitäts-Management zunehmend nach dem Vorbild von Computer-programmen entworfen und angeordnet. In weiterer Folge wurden Arbeitsabläufe strengen Standards unterworfen und die Arbeit mittels Algorithmen zugeordnet, eingeordnet und dokumentiert. Von Digitalisierungs- und Rationalisierungsexpert*innen werden Standardmodelle entwickelt und entwerten sowohl die Teamarbeit als auch die Eigenständigkeit der Menschen bei der Erarbeitung von Arbeits-Ergebnissen. Mit Auswertung und Bewertung wird, bis hin zur Umstrukturierung von Unternehmen, Digitalisierung ohne Beachtung ethischer Kriterien vorangetrieben.

Die technischen Möglichkeiten engmaschiger Kontrolle der Arbeitnehmer*innen
sowie der ununterbrochenen Auswertung und Bewertung ihrer Arbeitsleistung
werden durch Digitalisierung fortlaufend erweitert. In immer kürzeren Abständen stehen Interessenvertretungen vor der Aufgabe, klare Grenzziehungen zum Schutz der Persönlichkeitsrechte der Mitarbeiter*innen vorzunehmen.

Die spezifische Sensibilisierung und Qualifizierung von Betriebsrät*innen, die
zunehmend damit befasst sind, Betriebsvereinbarungen zur Begrenzung technischer Überwachungs- und Bewertungs-Möglichkeiten zu verhandeln, wird zu einer immer dringenderen Herausforderung.

Auch hier sind ethische Fragen grundlegend und handlungsleitend: Wie kann
Digitalisierung Arbeit unterstützen, wie kann verantwortungsvolle und ressourcenschonende Nutzung gefördert und fremdbestimmte Gleichschaltung der Mitarbeiter*innen verhindert werden?

Auch in diesem Zusammenhang ist zu prüfen, ob die vorhandenen gesetzlichen
Bestimmungen noch genügend Handhabe bieten, die Persönlichkeitsrechte der
Arbeitnehmer*innen in einer digitalisierten Arbeitswelt zu schützen. Handlungs-
leitende Werte wären dabei Transparenz und Wissensvermittlung, die den Arbeitnehmer*innen kompetente Kontrolle über ihre Arbeitsmittel und ihren
Arbeitsplatz ermöglichen. Unverzichtbare Voraussetzungen sind auch hier Mitsprache und die Chance, den Einsatz von Technologien ethisch zu reflektieren, zu bewerten und mitzugestalten.

Deregulierung
Im Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte sind die UN-Mitgliedsstaaten vor Jahrzehnten übereingekommen, dass „Bildung auf die volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit und des Bewusstseins ihrer Würde gerichtet sein und (…) es allen Menschen (1) ermöglichen muss, eine nützliche Rolle in einer freien Gesellschaft zu spielen“. (2)

Als wesentlicher Teil der Gesellschaft sollte die Arbeitswelt von diesem Menschenrecht auf Bildung und deren sinnvolle Anwendung nicht ausgenommen sein.

Deregulierungsprozesse in öffentlichen und privaten Unternehmen und Institutionen haben jedoch dazu geführt, dass Arbeitnehmer*innen unter dem Schlagwort ‚Flexibilität‘ aufgefordert werden, Tätigkeiten durchzuführen, für die sie nicht qualifiziert sind, bzw. ihre Qualifikation, ihr Wissen und ihre Erfahrung zugunsten betriebswirtschaftlicher Kostenreduktions-Pläne zurückzustellen. So werden beispielsweise im Sozialbereich Beratungen und Hausbesuche zunehmend nicht mehr von ausgebildeten Sozialarbeiter*innen, sondern von administrativen und anders qualifizierten Mitarbeiter*innen durchgeführt. Damit vergleichbar, wird im Pflegebereich die Arbeit „am Krankenbett“, also die direkte Pflege von Menschen, an die Mitarbeiter*innen-Gruppen mit der kürzesten Ausbildung delegiert, während qualifizierte Krankenpflege zunehmend in ‚Management‘ und medizinischer Assistenz verortet wird.

Die ständige Flexibilitäts-Anforderung mag Personalentwicklungsmaßnahmen nach sich ziehen, also vordergründig bildungsfördernd erscheinen, entwertet aber auch Ausbildung, Erfahrung und die Fähigkeit zu selbstverantwortlichem, qualifiziertem Handeln: Beliebig einsetzbare ‚flexible Mitläufer*innen treten an die Stelle kreativer, zur Reflexion fähiger Fachkräfte.

Selbstverständlich spielt auch hier Digitalisierung eine wesentliche Rolle: Die
Dokumentation der Leistungen der Arbeitnehmer*innen wird zwar für den Modulbau ‚unterstützender‘ Software verwendet, führt aber allzu oft dazu, dass Arbeitnehmer*innen mit einer technischen Ausstattung konfrontiert sind, die ihre Leistungen zerstückelt und in kleine Arbeitspakete aufteilt, die auch ohne spezielle Ausbildung durchgeführt werden können. Das macht die automatisierte Arbeit monoton und bis hin zur Dequalifizierung der Durchführenden unkreativ. Auf jeden Fall ist sie für die Dienstgeber-Seite kontrollierbar.

In Stellenausschreibungen finden sich neue, vorwiegend englischsprachige
Berufsbezeichnungen. Veränderte Berufsbezeichnungen verschleiern oftmals Stellen mit schlechterer Bezahlung, was erst bei näherer Analyse als getarntes Lohndumping erkennbar wird.

Ein weiterer Deregulierungsprozess betrifft den Arbeitsort: Unternehmer*innen haben in der Coronakrise festgestellt, dass sich durch Homeoffice Kosten für Büroraum und -ausstattung ebenso wie Betriebskosten einsparen lassen. Arbeitnehmer*innen stellen ihren privaten Wohnraum als außerbetriebliche Arbeitsstätte zur Verfügung und nehmen eine Steigerung des privaten Energieaufwandes und das Risiko ungeklärter Haftungs- und Versicherungsfragen in Kauf.

Für die Interessenvertretung der Arbeitnehmer*innen ergibt sich daraus ein beträchtlicher Handlungs- und Regelungsbedarf. Aktuell werden in zahlreichen Unternehmen und Organisationen Betriebsvereinbarungen zum Thema ‚Homeoffice‘ verhandelt. Eine stärkere betriebs- und branchenübergreifende Kooperation wäre bei der Bewältigung dieser Aufgabe zweifellos hilfreich.

Dass Homeoffice von vielen Arbeitnehmer*innen als positiv erlebt wird, weil die
Arbeitsorganisation weniger als fremdbestimmt, Hierarchie weniger als einengend und Kooperation als weniger konfliktreich erlebt wird, sollte weitere Hinweise auf eine notwendige Ethik der Arbeitswelt geben.

Die Deregulierung der Arbeit führte außerdem zu einer rasanten Zunahme prekärer Arbeitsverhältnisse. Die Coronakrise führt deutlich vor Augen, wie schnell Prekarisierung und Scheinselbständigkeit in die Armut führen können. Ein Beispiel dafür ist die fehlende Absicherung vieler Kulturarbeiter*innen während der pandemiebedingten Lock-Downs.

Kenntnis, Beachtung und Überprüfung der Umsetzung europäischer und inter-
nationaler Vereinbarungen zum Schutz von Arbeitnehmer*innenrechten sollte
wesentlich zur Ethik der Arbeitswelt beitragen. Die Europäische Säule Sozialer
Rechte verlangt beispielsweise in Kapitel 2, Absatz 5, dass „Beschäftigungs-
verhältnisse, die zu prekären Arbeitsbedingungen führen, (…) unterbunden (werden), unter anderem durch das Verbot des Missbrauchs atypischer Verträge.“ (3)

Das gute Leben für alle erfordert eine Ethik der Arbeitswelt, die sicherstellt, dass
Menschen ihre Kenntnisse, ihre Berufs- und Lebenserfahrung, ihre Qualifikationen und Problemlösungskompetenzen in sinnvolle Arbeitsprozesse einbringen können, und dafür Wertschätzung erfahren – sowohl in materieller Hinsicht, als auch in Form von ernst gemeinter Anerkennung und Einbeziehung in Entscheidungsprozesse. Die sozialstaatliche Absicherung muss allen zugutekommen und muss der Tatsache, dass immer mehr Menschen durch Sozialversicherungssysteme unzureichend geschützt sind, durch entsprechende gesetzliche Maßnahmen entgegenwirken. Hier geht es um den ethischen Wert der sozialen Inklusion aller als Voraussetzung für ein gutes Leben.

Schlussbemerkung
In diesem Text war bisher undifferenziert von ‚Arbeitnehmer*innen‘ bzw. ‚Menschen‘ oder ‚allen‘ die Rede. Es ist jedoch erforderlich, alle Maßnahmen, auch die Verbesserung gesetzlicher und organisatorischer Rahmenbedingungen für eine Ethik der Arbeitswelt immer auf ihre Auswirkung auf Frauen und Männer und deren Gleichstellung zu prüfen. Darüber hinaus bleibt Frauen-Förderung auch in ethischer Hinsicht, vor allem im Hinblick auf soziale Gerechtigkeit eine Notwendigkeit. So lange Frauen benachteiligt werden, bleibt das gute Leben für alle theoretisch und illusionär.

(1) Im Originaltext: „jedermann“.
(2) Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Staatsvertrag), Artikel 13, 1 https://www.ris.bka.gv.at/ Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte – Bundesrecht konsolidiert, aufgerufen am 17.3.2021.
(3) Europäische Union: Die europäische Säule sozialer Rechte in 20 Grundsätzen, Kapitel II: Faire Arbeitsbedingungen, 5. Sichere und anpassungsfähige Beschäftigung.
https://ec.europa.eu/info/strategy/priorities-2019-2024/economy-works-people/jobs-growth, aufgerufen am 17.3.2021.

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