Ergebnisse zum Schlagwort: Gleichstellung

Antrag 06 – Erhöhung des Frauenanteils in Betriebsräten

der AUGE/UG – Alternative, Grüne und Unabhängige GewerkschafterInnen
zur 172. Hauptversammlung der Bundesarbeitskammer am 23. Juni 2022

Antrag mehrheitlich zugewiesen
FSG, ÖÄÄB, FA: für Zuweisung

Die 172. Hauptversammlung der Bundesarbeitskammer möge beschließen:

Die Bundesarbeitskammer setzt sich für die Erhöhung des Frauenanteils in Be-
triebsratsgremien aktiv ein, indem sie u.a.:

  • breit informiert, dass angestrebt werden soll, dass Belegschaftsorgane
    nach dem Zahlenverhältnis der Geschlechter zusammengesetzt sind.
  • effektiv informiert, dass bei der Erstellung der Kandidat*innenliste auf
    eine angemessene Repräsentation der Arbeitnehmerinnen und
    Arbeitnehmer zu achten ist (§ 55 Abs. 4a ArbVG).
  • Mehr Schulungsangebote speziell für Frauen anbietet.
  • Ein Konzept vorlegt, um den Frauenanteil in der BRAK und in der SOZAK
    zu erhöhen.
  • Evaluiert, welche niedrigschwelligen Möglichkeiten bestehen, eine höhere Partizipation von Frauen in Belegschaftsorganen zu fördern.

Sandra Steiner berichtet in einem A&W Blogbeitrag (März 2022) von der Unterrepräsentation von Frauen in Betriebsräten. Diese ist mehreren Faktoren geschuldet. Neben vorhandenen Machtstrukturen, haben Frauen oft mehrere Rollen inne, neben unbezahlter Care-Arbeit oder Kinderbetreuungspflichten, spielen auch erhöhte Teilzeitquoten eine Rolle für die Unterrepräsentation. Insbesondere Infrastruktur, Rollenbilder, Arbeitsmarktangebot, Gesundheit und Lebensvorstellungen haben mittelbaren Einfluss auf die Zusammensetzung eines Betriebsratskollegiums, auf die Entscheidung für das Mandat einer innerbetrieblichen Arbeitnehmer*innenvertretung und auf die Betriebsratsarbeit im Konkreten.

Entsprechende Strukturen führen oft auch zu Altersarmut von Frauen, von der insbesondere alleinlebenden Frauen in der Pension betroffen sind.

Nach dem Gesetzgeber sollen Frauen in Betriebsratskörperschaften entsprechend den jeweiligen Belegschaftsverhältnissen von Frauen und Männern vertreten sein. Dies gelang bereits 1992 mit dem Gleichbehandlungspaket ins Arbeitsverfassungsgesetz (ArbVG). Der Gesetzgeber hat dazu festgehalten, dass eine starke Repräsentation von Frauen in Organen der betrieblichen Interessenvertretung angestrebt werden soll und der Benachteiligung der Frauen in der Gesellschaft, vor allem auch im Arbeitsleben, mit einer Reihe gesetzlicher Maßnahmen entgegengewirkt werden soll.

Ganz generell sind Frauen und Männer in der Arbeitswelt noch immer nicht gleichgestellt. Das zeigen Kennzahlen wie der Gender-Pay-Gap oder die Anzahl an Frauen in leitenden Positionen, die geringer ist als die Anzahl der Männer, trotz formal höherer Bildung der Frauen.

Diese Problemstellungen müssen auch von Betriebsratsseite aufgenommen, angesprochen und bearbeitet werden. Darum ist eine entsprechende Repräsentation von Frauen in Betriebsräten wichtig. Durch sie lassen sich Lebensrealitäten von Frauen und entsprechende Forderungen betrieblich besser abbilden und umsetzen.

2020 lag der Anteil von Frauen unter den Betriebsratsvorsitzenden Österreichs bei immer noch bescheidenen 25 Prozent.

Dies gilt auch für Betriebe mit einem hohen Frauenanteil in der Beschäftigungsstruktur, selbst dort sind Frauen in den Organen der betrieblichen Interessenvertretung immer wieder unterrepräsentiert. So setzt sich zum Beispiel in Handelsunternehmen mit einem hohen Teilzeitbeschäftigungsgrad der Betriebsrat oft aus den wenigen (in Vollzeit beschäftigten) Männern zusammen.

Um der Unterrepräsentanz von Frauen entgegenzuwirken, sollten die Belegschaftsorgane nach dem Zahlenverhältnis der Geschlechter zusammengesetzt sein, und es ist – dem entsprechend – bei der Erstellung der Kandidat*innenliste auf eine angemessene Repräsentation der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu achten (§ 55 Abs. 4a ArbVG).

Der Gesetzgeber fordert sogar eine aliquote Beteiligung von Frauen im BR- und
ZBR-Organ! Dazu müssen auch Männer Beiträge leisten, indem etwa BR-Sitzungen und sonstige Besprechungen so angesetzt werden, dass alle interessierten und engagierten Kolleg*innen nach Möglichkeit teilnehmen können. Und indem die „Sitzungskultur“, das Fördern von Kandidaturen usw. entsprechend adaptiert wird.

Antrag 09 – Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit

der AUGE/UG – Alternative, Grüne und Unabhängige GewerkschafterInnen
zur 169. Hauptversammlung der Bundesarbeitskammer am 26. November 2020

Antrag einstimmig angenommen

Antragserledigung im BAK-Vorstand

Die 169. Hauptversammlung der Bundesarbeitskammer möge beschließen:

Die Bundesarbeitskammer setzt sich dafür ein, dass ‚Männer‘ – und ‚Frauen‘-Berufe systematisch miteinander verglichen werden und konkrete Empfehlungen für die gleiche, d.h. gerechte Bewertung und Bezahlung von Männer- und Frauenarbeit zu geben.

Die im Auftrag der AK erstellte Sonderauswertung des Österreichischen Arbeitsklima-Index anlässlich der COVID-Pandemie nennt als systemrelevante Berufsgruppen Einzelhandels- bedienstete, Reinigungskräfte, LehrerInnen, BerufsfahrerInnen und Lieferdienste, Pflege, – Betreuungs- und Gesundheitsberufe, ApothekerInnen, Bankangestellte, KindergartenpädagogInnen und Polizei (vgl. Schönherr, Zandonella, SORA 2020(7)).

Acht von diesen elf Berufen können als Frauenberufe bezeichnet werden, da der Anteil der Frauen bei über 80% der Beschäftigten liegt (8). In den fünf Berufsgruppen mit dem höchsten Frauenanteil liegt das durchschnittliche Einkommen unter dem österreichischen Durchschnittslohn.

Die Corona-Pandemie macht jedenfalls deutlich, dass diese Berufe systemrelevant, also gesellschaftlich unverzichtbar sind. Angesichts dieser Erkenntnis sollte sich Gleichstellungspolitik nicht darauf beschränken, Frauen eine andere Berufswahl nahezulegen, sondern gleichzeitig darauf hinarbeiten, diese und weitere Frauenberufe sowohl in Relation zu anderen Berufen, als auch absolut hinsichtlich Einkommen, Prestige und Arbeitsbedin-gungen aufzuwerten.

Dass gerade Frauen oft in unterbezahlten Berufen arbeiten, ist kein Zufall. Die ‚Devaluationsthese‘ geht davon aus, dass sich der (im Vergleich zu Männern) geringere gesellschaftliche Status von Frauen in weiten Bereichen auf die Bewertung ihrer Arbeit auswirkt. Dazu ein Beispiel aus dem Gesundheits-und Sozialbereich:

Das durchschnittliche Einkommen(9) aller österreichischen Männer betrug 2018 laut Statistik Austria monatlich € 3.197,- brutto (vgl. Statistik Austria(10)). Im Kollektivvertrag der Sozial-wirtschaft Österreich (die v.a. mehrheitlich von Frauen ausgeübte Pflege- und Betreuungs-berufe umfasst) erreichten von neun Gehaltsgruppen nur die drei höchsten, also die Gruppe 7 (das sind beispielweise Diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegepersonen mit Sonderausbildung,
Kindergarten-und Hortpädagoginnen, Behinderten-Fachkräfte) ab dem 27. Dienstjahr, die Gruppe 8 (das sind beispielsweise Behindertenfachkräfte mit Spezial-aufgaben, Sozialarbeiterinnen oder Physiotherapeutinnen) ab dem 13. Dienstjahr und die Gruppe 9 dieses mittlere Durchschnittseinkommen aller Männer (vgl. SWÖ KV 2020).

Seit dem Jahr 2011 regelt das Gleichbehandlungsgesetz die Verpflichtung aller Unternehmen ab 150 MitarbeiterInnen, Einkommensberichte zu erstellen und mit diesem Instrument auf gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit und damit auf Gleichstellung von Männern und Frauen im Betrieb hinzuarbeiten.

Da es sich jedoch bei der ungleichen Bewertung von Männer- und Frauenarbeit, wie oben beschrieben, offensichtlich um ein gesamtgesellschaftliches Phänomen handelt, sollten Männer- und Frauenarbeit und -einkommen nicht nur auf betrieblicher Ebene, sondern branchenübergreifend analysiert und neu bewertet werden.

Als Methode bietet sich der so genannte ‚Paarvergleich zur Gleichwertigkeit‘ an, bei dem anhand bestimmter Kriterien (Voraussetzungen, Anforderungen, Belastungen…) Berufe in ihren einzelnen Merkmalen detailliert miteinander vergleichen werden. Erprobte Kriterien-kataloge finden sich beispielsweise in der Studie zum „Comparable Worth“-Index als Instrument zur Analyse des Gender Pay Gap von Sarah Lillemeier(11) oder im Entgelt-gleichheits-Check der deutschen Antidiskriminierungsstelle des Bundes.

(7) Daniel Schönherr / Martina Zandonella: Sonderauswertung des Österreichischen Arbeitsklima Index Bedingungen und Berufsprestige von Beschäftigten In systemrelevanten Berufen in Österreich, SORA Institut im Auftrag der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien, Wien, April 2020
(8) Ab 70% Männer bzw. Frauenanteil in einer Berufsgruppe kann lt. Toolbox Einkommensberichte (BM für Gesundheit und Frauen, ÖGB Frauen, Arbeiterkammer und der Gleichbehandlungsanwaltschaft 2016) von Männer- bzw. Frauenarbeit gesprochen werden
(9) von Teilzeit und nicht-ganzjähriger Beschäftigung bereinigt
(10) www.statistik.at/web_de/statistiken/menschen_und_gesellschaft/soziales/personeneinkommen/jaehrliche_personen_einkommen/index.html
, aufgerufen am 16.10.2020
(11) Working Paper WSI 205,Hans Böckler Stiftung

AUGE/UG Newsletter 01/2022

In diesem Newsletter …

Antrag 14 – Die Folgen der Coronakrise für Frauen

der AUGE/UG – Alternative, Grüne und Unabhängige GewerkschafterInnen
zur 170. Hauptversammlung der Bundesarbeitskammer am 17. Juni 2021

Antrag einstimmig angenommen

Antragsbehandlung im BAK-Vorstand

Die 170. Hauptversammlung der Bundesarbeitskammer möge beschließen:

Die 170. Hauptversammlung der Bundesarbeitskammer fordert die
österreichische Bundesregierung auf

  • bei Konjunkturmaßnahmen und Investitionen besonderen Wert auf die
    Förderungen der gleichberechtigten Teilhabe von Frauen und Männern am Arbeitsmarkt zu legen, so dass sie strukturell die zukunftsfähige, soziale und geschlechtergerechte Gestaltung von Wirtschaft und Gesellschaft unterstützen; dies umfasst auch die materielle Aufwertung der Arbeit in verschiedenen systemrelevanten Bereichen.
  • bei der Gewährung von Unternehmenshilfen das Prinzip der geschlechtergerechten Verwendung von Haushaltsmitteln anzuwenden und durch ein entsprechendes Monitoring zu begleiten.
  • die Förderung von Entgeltgleichheit und Gleichstellung auf betrieblicher Ebene und die Beschränkung atypischer Beschäftigungsformen zu einem Kriterium für die Vergabe staatlicher Hilfen an Unternehmen zu machen.

Das Krisenmanagement der Coronakrise ist in Österreich mehrheitlich in männlicher Hand, in den Pressekonferenzen hören wir Ministern und Experten zu, während sie mit uns ihre Einschätzungen teilen. Es zeigt sich aber immer mehr, was es bedeutet, wenn Männer über Home Office und Ausgangssperren entscheiden. Probleme und Perspektiven von Frauen werden ausgeklammert oder sogar vergessen.

Frauen kümmern sich nun vermehrt um unbezahlte Hausarbeit und Kinderbetreuung (Gender Care Gap) und arbeiten in Teilzeit, während Männer eher ihren Karrieren im Home Office weiter nachgehen können. Alleinerzieherinnen übernehmen beide Rollen und sind abhängig von Kinderbetreuungseinrichtungen oder Tageseltern. Die Kinderbetreuung in solchen Einrichtungen ist in Krisenzeiten aber keinesfalls gesichert. Ein ständiges Jonglieren, große Unsicherheiten und fehlende Planungssicherheit gehen damit einher.

Frauen sind zusätzlich jene Gruppe, die aufgrund ihrer Arbeit an sich schon einem höheren Risiko ausgesetzt sind und die sogenannten systemrelevanten Berufe dominieren, wie den Pflege- und Gesundheitsbereich. Aber auch die Angestellten im Supermarkt oder Putz- und Pflegekräfte sind mehrheitlich weiblich.

Bereits vorhandene strukturelle Benachteiligungen werden durch die Krise und das Krisenmanagement noch verstärkt.

Resolution 01 / Ethik in der Arbeitswelt

der AUGE/UG -Alternative, Grüne und Unabhängige GewerkschafterInnen
zur 175. Vollversammlung der Arbeiterkammer Wien am 5. Mai 2021

Antrag mehrheitlich zugewiesen:
FA, GA, Persp, FAIR, Kom.: ja
FSG, ÖAAB, ARGE, GLB, Türk-is: für Zuweisung

Antragsbehandlung im Ausschuss Arbeit und Arbeitsmarkt

Die 175. Vollversammlung der Arbeiterkammer Wien möge beschließen:

  • Die Arbeiterkammer Wien bekennt sich zu einer Ethik der Arbeitswelt.
    Sie umfasst das Recht auf menschenwürdiges Arbeiten und setzt sich für ein an sozialen und ökologischen Kriterien orientiertes Wirtschaftssystem ein.
  • Mit den Ressourcen der AK Wien sollen Modelle einer den Menschenrechten folgenden, auf Gleichberechtigung ausgerichteten, sozialen und gesunden Arbeitswelt entwickelt werden.
  • Dabei sind Transparenz, Informations- und Wissensvermittlung wesentliche Faktoren, um menschenwürdige Arbeit zu ermöglichen.

Insbesondere wird die Arbeiterkammer Wien aufgefordert,

  • die Auswirkungen von Ökonomisierungs-, Digitalisierungs- und Deregulierungsprozessen auf Arbeitsbedingungen und Arbeitsinhalte zu erforschen, einen breiten Diskussionsprozess über diese Themen zu initiieren und dabei gewonnene Erkenntnisse in Gesetzesinitiativen einzubringen.
  • Beratungs- und Interventionsstellen zu schaffen, die Arbeitnehmer*innen und Betriebsrät*innen zur Verfügung stehen, wenn sie mit unethischen, Menschen und Umwelt schädigenden, ausschließlich an ökonomischem Nutzen orientierten Arbeitsbedingungen konfrontiert sind, oder durch Digitalisierung und Deregulierung eine Entwertung ihrer Arbeit erfahren.
  • Zudem wird die Arbeiterkammer Wien aufgefordert, sich dafür einzusetzen, dass die Mitwirkungsrechte von Arbeitnehmer*innen und Betriebsrät*innen bei der Gestaltung von Arbeitsstrukturen und Arbeitsinhalten in den entsprechenden Gesetzen ausgeweitet werden.

Die Forderung nach einem guten Leben für alle charakterisiert seit einiger Zeit gewerkschaftliche Organisation und Vertretung von Arbeitnehmer*innen-Interessen. Auch die Internet-Startseite der AK Wien stellt dieses einprägsame Leitmotiv ins Zentrum ihrer Informationsvermittlung.

Das gute Leben für alle verlangt nach einer Ethik der Arbeitswelt: Ethik ist jene philosophische Teildisziplin, die seit der Antike die Frage nach einem guten, gelungenen Leben und den ihm zugrundeliegenden, handlungsleitenden Werten stellt. Auf Arbeit bezogen bedeutet diese Auseinandersetzung beispielsweise Produktionsprozesse kritisch zu hinterfragen und auf allen Ebenen Orientierungshilfen zu entwickeln, deren Maxime nicht weniger als das gute Leben für alle ist.

Arbeiterkammern, Gewerkschaften und NGOs haben sich daher erst vor kurzem in einer europaweiten Kampagne mit der Verantwortung der Unternehmen für menschenrechtswidrige und umweltschädigende Aktivitäten entlang ihrer Lieferketten, unabhängig davon, ob sich ihre Subunternehmen und Zulieferer in oder außerhalb der EU befinden, befasst.
Denn das gute Leben für alle ist nicht teilbar, ebenso wenig wie die Grund- und Menschenrechte, die es ermöglichen.

Doch die Frage nach ethisch guter Arbeitsorganisation stellt sich nicht nur im Zusammenhang mit der Ausbeutung von Menschen in Drittstaaten. Auch hier in Europa und Österreich sind wir immer wieder von Neuem mit ethischen Problemstellungen konfrontiert, insbesondere wenn Ökonomisierung, Digitalisierung und Deregulierung Produktion und Dienstleistung dominieren.

Ökonomisierung

Die neoliberale Wirtschaftsideologie der letzten Jahrzehnte brachte mit sich, dass sämtliche Arbeitsfelder, inklusive Soziale Arbeit, Bildung, Kultur und Gesundheitswesen durchgängig von ökonomischen Gesichtspunkten dominiert wurden. Im Vertrauen auf die Wirksamkeit betriebswirtschaftlicher Instrumente wurde ökonomisch messbare Nützlichkeit annähernd überall zum obersten Leitprinzip erhoben.

Darüber hinaus führte die Krise auf dem Arbeitsmarkt in der letzten Zeit zu einem gesteigerten Konkurrenzdruck.
Unter der Ausnutzung von Gesetzeslücken konnten große Konzerne in den letzten Monaten ihre Marktmacht ausbauen und auf Kosten der Arbeitnehmer*innen Rekordgewinne einfahren. Die Verletzung von arbeitsrechtlichen Bestimmungen, prekäre Beschäftigungsverhältnisse, massiver Arbeitsdruck bis hin zu Disziplinierungsmaßnahmen und permanenter Überwachung der Arbeitsleistung bei schlechter Entlohnung wurden zu ‚normalen‘ Begleiterscheinungen. Die Interessen der Beschäftigten, eine demokratische Betriebskultur, die Mitwirkung von Belegschaftsvertretungen fielen der Profitgier großer Konzerne zum Opfer.

Eine auf Profitmaximierung ausgerichtete Wirtschaftsweise wirkt zerstörend auf Umwelt und Menschenrechte und fördert Ungleichheit. Und die Zerstörung des Ökosystems durch die neoliberal gesteuerte, rein ökonomische Globalisierung der letzten Jahrzehnte ist darauf ausgerichtet, noch weit größere Krisen hervorzurufen, als wir sie gegenwärtig erleben.

Spätestens seit Ausbruch der Coronapandemie wird deutlich, dass Werte wie Kooperation, Solidarität und ein achtsamer Umgang mit den Bedürfnissen der Menschen zur Problembewältigung beitragen, während die neoliberale Ideologie der Ökonomisierung aller Lebensbereiche in der Krise versagt.

Übertragen auf die Arbeitswelt verlangt diese Erkenntnis in Betrieben und Organisationen eine Ethik der Mitbestimmung, Fairness und Kooperation. Im Sinne des guten Lebens für alle muss die Erarbeitung sinnvoller Ergebnisse ermöglicht werden. Beispiele für sinnvolle Arbeitsergebnisse aufgrund ethischer Entscheidungen in der Arbeitswelt sind die Produktion und Wiederverwertung nachhaltig funktionsfähiger Produkte, die in einer Kreislaufwirtschaft CO2-sparend genützt werden können, sowie soziale Dienstleistungen, die über kurzfristige statistische Erfolge hinaus langfristig wirksam zur Lösung sozialer Probleme beitragen.
Eine Ausweitung des Arbeitnehmer*innen-Schutzes und der Arbeitsverfassung sollte zur Verankerung dieser Werte beitragen und der Forderung nach dem guten Leben für alle die zu ihrer Durchsetzung nötigen Instrumente hinzufügen.

Digitalisierung

Der jüngste Digitalisierungsschub, ausgelöst durch die Coronapandemie, sorgt in der Arbeitswelt für veränderte Realitäten. Schneller als angenommen, stellen wir uns neuen Herausforderungen: Viele von uns arbeiten im Homeoffice, E-Mails, Chats und vielfältige Videotools wurden zu unseren wichtigsten Arbeitswerkzeugen.

Schon vor dieser Digitalisierungswelle wurden Arbeitsabläufe mittels Prozess- und Qualitäts-Management zunehmend nach dem Vorbild von Computer-Programmen entworfen und angeordnet. In weiterer Folge wurden Arbeitsabläufe strengen Standards unterworfen und die Arbeit mittels Algorithmen zugeordnet, eingeordnet und dokumentiert. Von Digitalisierungs- und Rationalisierungsexpert*innen werden Standardmodelle entwickelt und entwerten sowohl die Teamarbeit als auch die Eigenständigkeit der Menschen bei der Erarbeitung von Arbeits-Ergebnissen. Mit Auswertung und Bewertung wird, bis hin zur Umstrukturierung von Unternehmen, Digitalisierung ohne Beachtung ethischer Kriterien vorangetrieben.

Die technischen Möglichkeiten engmaschiger Kontrolle der Arbeitnehmer*innen sowie der ununterbrochenen Auswertung und Bewertung ihrer Arbeitsleistung werden durch Digitalisierung fortlaufend erweitert.
In immer kürzeren Abständen stehen Interessenvertretungen vor der Aufgabe, klare Grenzziehungen zum Schutz der Persönlichkeitsrechte der Mitarbeiter*innen vorzunehmen.
Die spezifische Sensibilisierung und Qualifizierung von Betriebsrät*innen, die zunehmend damit befasst sind, Betriebsvereinbarungen zur Begrenzung technischer Überwachungs- und Bewertungs-Möglichkeiten zu verhandeln, wird zu einer immer dringenderen Herausforderung.
Auch hier sind ethische Fragen grundlegend und handlungsleitend: Wie kann Digitalisierung Arbeit unterstützen, wie kann verantwortungsvolle und ressourcenschonende Nutzung gefördert und fremdbestimmte Gleichschaltung der Mitarbeiter*innen verhindert werden?
Auch in diesem Zusammenhang ist zu prüfen, ob die vorhandenen gesetzlichen Bestimmungen noch genügend Handhabe bieten, die Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmer*innen in einer digitalisierten Arbeitswelt zu schützen.
Handlungsleitende Werte wären dabei Transparenz und Wissensvermittlung, die den Arbeitnehmer*innen kompetente Kontrolle über ihre Arbeitsmittel und ihren Arbeitsplatz ermöglichen. Unverzichtbare Voraussetzungen sind auch hier Mitsprache und die Chance, den Einsatz von Technologien ethisch zu reflektieren, zu bewerten und mitzugestalten.

Deregulierung

Im Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte sind die UN-Mitgliedsstaaten vor Jahrzehnten übereingekommen, dass „Bildung auf die volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit und des Bewusstseins ihrer Würde gerichtet sein und (…) es allen Menschen1 ermöglichen muss, eine nützliche Rolle in einer freien Gesellschaft zu spielen“.2
Als wesentlicher Teil der Gesellschaft sollte die Arbeitswelt von diesem Menschenrecht auf Bildung und deren sinnvolle Anwendung nicht ausgenommen sein.

Deregulierungsprozesse in öffentlichen und privaten Unternehmen und Institutionen haben jedoch dazu geführt, dass Arbeitnehmer*innen unter dem Schlagwort ‚Flexibilität‘ aufgefordert werden, Tätigkeiten durchzuführen, für die sie nicht qualifiziert sind, bzw. ihre Qualifikation, ihr Wissen und ihre Erfahrung zugunsten betriebswirtschaftlicher Kostenreduktions-Pläne zurückzustellen. So werden beispielsweise im Sozialbereich Beratungen und Hausbesuche zunehmend nicht mehr von ausgebildeten Sozialarbeiter*innen, sondern von administrativen und anders qualifizierten Mitarbeiter*innen durchgeführt. Damit vergleichbar, wird im Pflegebereich die Arbeit „am Krankenbett“, also die direkte Pflege von Menschen, an die Mitarbeiter*innen-Gruppen mit der kürzesten Ausbildung delegiert, während qualifizierte Krankenpflege zunehmend in ‚Management‘ und medizinischer Assistenz verortet wird.

Die ständige Flexibilitäts-Anforderung mag Personalentwicklungsmaßnahmen nach sich ziehen, also vordergründig bildungsfördernd erscheinen, entwertet aber auch Ausbildung, Erfahrung und die Fähigkeit zu selbstverantwortlichem, qualifiziertem Handeln: Beliebig einsetzbare ‚flexible Mitläufer*innen treten an die Stelle kreativer, zur Reflexion fähiger Fachkräfte.

Selbstverständlich spielt auch hier Digitalisierung eine wesentliche Rolle: Die Dokumentation der Leistungen der Arbeitnehmer*innen wird zwar für den Modulbau ‚unterstützender‘ Software verwendet, führt aber allzu oft dazu, dass Arbeitnehmer*innen mit einer technischen Ausstattung konfrontiert sind, die ihre Leistungen zerstückelt und in kleine Arbeitspakete aufteilt, die auch ohne spezielle Ausbildung durchgeführt werden können.
Das macht die automatisierte Arbeit monoton und bis hin zur Dequalifizierung der Durchführenden unkreativ. Auf jeden Fall ist sie für die Dienstgeber-Seite kontrollierbar.
In Stellen-Ausschreibungen finden sich neue, vorwiegend englischsprachige Berufsbezeichnungen. Veränderte Berufsbezeichnungen verschleiern oftmals Stellen mit schlechterer Bezahlung, was erst bei näherer Analyse als getarntes Lohndumping erkennbar wird.

Ein weiterer Deregulierungsprozess betrifft den Arbeitsort: Unternehmer*innen haben in der Coronakrise festgestellt, dass sich durch Homeoffice Kosten für Büroraum und -ausstattung ebenso wie Betriebskosten einsparen lassen. Arbeitnehmer*innen stellen ihren privaten Wohnraum als außerbetriebliche Arbeitsstätte zur Verfügung und nehmen eine Steigerung des privaten Energieaufwandes und das Risiko ungeklärter Haftungs- und Versicherungsfragen in Kauf.
Für die Interessenvertretung der Arbeitnehmer*innen ergibt sich daraus ein beträchtlicher Handlungs- und Regelungsbedarf. Aktuell werden in zahlreichen Unternehmen und Organisationen Betriebsvereinbarungen zum Thema ‚Homeoffice‘ verhandelt.
Eine stärkere betriebs- und branchenübergreifende Kooperation wäre bei der Bewältigung dieser Aufgabe zweifellos hilfreich.
Dass Homeoffice von vielen Arbeitnehmer*innen als positiv erlebt wird, weil die Arbeitsorganisation weniger als fremdbestimmt, Hierarchie weniger als einengend und Kooperation als weniger konfliktreich erlebt wird, sollte weitere Hinweise auf eine notwendige Ethik der Arbeitswelt geben.

Die Deregulierung der Arbeit führte außerdem zu einer rasanten Zunahme prekärer Arbeitsverhältnisse. Die Coronakrise führt nun deutlich vor Augen, wie schnell Prekarisierung und Scheinselbständigkeit in die Armut führen können. Ein Beispiel dafür ist die fehlende Absicherung vieler Kulturarbeiter*innen während der pandemiebedingten Lock-Downs.

Kenntnis, Beachtung und Überprüfung der Umsetzung europäischer und internationaler Vereinbarungen zum Schutz von Arbeitnehmer*innenrechten sollte wesentlich zur Ethik der Arbeitswelt beitragen. Die Europäische Säule Sozialer Rechte verlangt beispielsweise in Kapitel 2, Absatz 5, dass „Beschäftigungsverhältnisse, die zu prekären Arbeitsbedingungen führen, (…) unterbunden (werden), unter anderem durch das Verbot des Missbrauchs atypischer Verträge.“3

Das gute Leben für alle erfordert eine Ethik der Arbeitswelt, die sicherstellt, dass Menschen ihre Kenntnisse, ihre Berufs- und Lebenserfahrung, ihre Qualifikationen und Problemlösungskompetenzen in sinnvolle Arbeitsprozesse einbringen können, und dafür Wertschätzung erfahren – sowohl in materieller Hinsicht, als auch in Form von ernst gemeinter Anerkennung und Einbeziehung in Entscheidungsprozesse.
Die sozialstaatliche Absicherung muss allen zugutekommen und muss der Tatsache, dass immer mehr Menschen durch Sozialversicherungssysteme unzureichend geschützt sind, durch entsprechende gesetzliche Maßnahmen entgegenwirken. Hier geht es um den ethischen Wert der sozialen Inklusion aller als Voraussetzung für ein gutes Leben.

Schlussbemerkung

In diesem Text war bisher undifferenziert von ‚Arbeitnehmer*innen‘ bzw. ‚Menschen‘ oder ‚allen‘ die Rede. Es ist jedoch erforderlich, alle Maßnahmen, auch die Verbesserung gesetzlicher und organisatorischer Rahmenbedingungen für eine Ethik der Arbeitswelt immer auf ihre Auswirkung auf Frauen und Männer und deren Gleichstellung zu prüfen. Darüber hinaus bleibt Frauen-Förderung auch in ethischer Hinsicht, vor allem im Hinblick auf soziale Gerechtigkeit eine Notwendigkeit. So lange Frauen benachteiligt werden, bleibt das gute Leben für alle theoretisch und illusionär.

  1. Im Originaltext: „jedermann“.
  2. Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Staatsvertrag), Artikel 13, 1 https://www.ris.bka.gv.at/ Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte – Bundesrecht konsolidiert, aufgerufen am 17.3.2021.

  3. Europäische Union: Die europäische Säule sozialer Rechte in 20 Grundsätzen, Kapitel II: Faire Arbeitsbedingungen, 5. Sichere und anpassungsfähige Beschäftigung. https://ec.europa.eu/info/strategy/priorities-2019-2024/economy-works-people/jobs-growth, aufgerufen am 17.3.2021.
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