Ergebnisse zum Schlagwort: Mitbestimmung

Tag der betrieblichen Mitbestimmung

Seitdem Menschen für andere Menschen arbeiten, gibt es Arbeitskämpfe. Der Streik der Graberbauer von Deir el-Medina, vor 3372 Jahren war der erste aufgezeichnete Streik der Weltgeschichte – Pharao Ramses III. musste den Forderungen nachgeben. Die Fragen damals sind heute noch genau so aktuell: was wird wie produziert und wem sollen die Ergebnisse der Arbeit zugutekommen. Tag der betrieblichen Mitbestimmung weiterlesen

Resolution 02 / Für den Erhalt des Werkes und aller Arbeitsplätze bei MAN in Steyr

der AUGE/UG -Alternative, Grüne und Unabhängige GewerkschafterInnen
zur 175. Vollversammlung der Arbeiterkammer Wien am 5. Mai 2021

Antrag mehrheitlich zugewiesen:
FA, Persp, GLB, Türk-is, Kom.: ja
FSG, ÖAAB, GA, FAIR, ARGE: für Zuweisung

Antragsbehandlung im Ausschuss Wirtschafts- und Finanzpolitik

Die 175. Vollversammlung der Arbeiterkammer Wien möge beschließen:

  • Die Arbeiterkammer Wien unterstützt die Beschäftigten in ihrem Bestreben nach einem Erhalt des MAN Produktionsstandortes in Steyr und aller seiner/ihrer Beschäftigten. Sie unterstützt alle Bemühungen der Beschäftigten, das Werk mit staatlicher Unterstützung und der des Landes Oberösterreich zu übernehmen und als selbstverwalteten Betrieb weiterzuführen.
  • Die Arbeiterkammer Wien setzt sich für einen sozial-ökologischen Strukturwandel ein. Daher unterstützt sie auch die Belegschaften und Betriebsräte, wie auch die Arbeitnehmer*innen und Betriebsräte bei MAN, beim Umstieg zu einer sozial-ökologische Produktion.

Im Herbst letzten Jahres wurde bekannt, dass die neue Führung des MAN Konzerns in München insgesamt 9.500 Mitarbeiter*innen in Deutschland und Österreich kündigen wolle. Der Konzern beabsichtige eine Kostenreduktion und mittelfristig eine Verbesserung des Ergebnisses von 1,9 Milliarden Euro. Von dieser Maßnahme wäre auch das einzige Werk des MAN-Konzerns in Österreich in Steyr betroffen. Ihm würde die Schließung drohen womit rund 2.400 Arbeitsplätze wegfallen würden.

MAN Truck & Bus Österreich GesmbH ist eine Tochtergesellschaft der MAN SE, München, die wiederum eine Tochtergesellschaft (zu 94,36%) des börsennotierten Traton SE Konzerns. Traton SE ist über eine Finanzbeteiligungsgesellschaft mehrheitlich im Besitz des Volkswagen Konzerns.

Traton SE produziert mit seinen Marken Scandia, MAN, Volkswagen Caminhoes e Omnibus und RIO Nutzfahrzeuge und Busse. Der Konzern beschäftigte Ende 2020 82.600 Mitarbeiter*innen in 29 Produktionsstandorten in 17 Ländern. Mitte 2018 wurde der Konzern von Volkswagen Truck & Bus in Traton umbenannt.

Vor einigen Jahren verhandelte der MAN Betriebsrat eine Standortgarantie bis zum Jahre 2030. Diese wurde letztes Jahr vom MAN Vorstand gekündigt. Die Standortgarantie ist ein mächtiges Instrument in den Händen des Betriebsrates, jedoch wird es von Seiten das MAN Managements als nicht mehr gültig angesehen. Es ist zu erwarten, dass die Standortgarantie Gegenstand von gerichtlichen Auseinandersetzungen sein wird.

Der Übernahmeplan von Sigi Wolf

Der österreichische Investor und ehemalige Vorstand von Magna Austria Siegfried Wolf unterbreitete Anfang des Jahres dem MAN Management und den Beschäftigten das Angebot, das Werk in Steyr übernehmen zu wollen. Gemäß seinem Vorschlag sollten LKWs, Busse und Kleintransporter mit Elektroantrieb in Steyr produziert werden. Außerdem sollten Fahrgastzellen für den russischen Automobilkonzern GAZ, an dem Wolf einen zehnprozentigen Anteil hält, hergestellt werden.

Der Geschäftsplan von Wolf sieht vor, den Beschäftigtenstand von derzeit 2.000 fixen auf 1.400 Arbeitnehmer*innen (der Rest besteht offensichtlich aus Leiharbeiter*innen) zu reduzieren sowie Gehaltskürzungen im Ausmaß von 15 Prozent. Das Gehaltsniveau der MAN Beschäftigten sei aktuell im Durchschnitt weit über dem Kollektivvertragslöhnen und -gehältern, so Wolf.

In einer Urabstimmung der MAN Beschäftigen am 8. April, an der sich 2.215 Mitarbeiter*innen (Beteiligungsgrad: 94 %) beteiligten, sprachen sich 63,9 % gegen den Vorschlag von Wolf aus. Für viele Beteiligte und Beobachter*innen war das ein unerwartetes Ergebnis. Die österreichische Arbeiterklasse hatte nach vielen Jahren zum ersten Mal ein deutliches Zeichen gesetzt. Die Beschäftigten von MAN waren nicht mehr bereit, sich den Drohungen von MAN und von Sigi Wolf zu unterwerfen. Sie wollten nicht nur Kostenbestandteile in diesem Werk sein, das immerhin auf eine 200jährige Industriegeschichte zurückblicken kann. Es war auch ein Signal an den MAN Vorstand, die Bedingungen der Standortgarantie zu erfüllen.

Volkwirtschaftliche Verluste bei einer Schließung des Steyr Werkes

In einer Studie des emeritierten Univ. Prof. Dr. Friedrich Schneider von der Johannes-Kepler-Universität Linz vom 12. April wurden die volkwirtschaftlichen Konsequenzen einer Schließung des MAN Werkes in Steyr geschätzt. Negative Effekte würden sich zu 75 % auf Ober- und Niederösterreich konzentrieren. Die Schließung würde in einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts von 957 Millionen Euro und einem Verlust von 8.400 Arbeitsplätzen inklusive der im MAN Werk führen.

Es steht für die Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien außer Zweifel, dass das Werk in Steyr und alle Arbeitsplätze gerettet werden müssen. Das gilt auch für die Leiharbeiter*innen, die bereits von ersten Kündigungen betroffen sind. Eine Schließung würde für die Stadt Steyr, für die Region und für die betroffenen Bundesländer katastrophale Konsequenzen haben. Nicht nur, dass Arbeitsplätze verloren gehen würden, mit dem Verlust der Einkommen der arbeitslosen Kolleg*innen würden viele andere Arbeitsplätze in der unmittelbaren Nähe aber auch in der Region unmittelbar gefährdet bzw. verloren gehen, wie aus der Untersuchung von Prof. Schneider hervorgeht. Betroffen wären nicht nur Zuliefererbetriebe, sondern auch Infrastrukturbetriebe wie z.B. der Einzelhandel oder die Gastronomie.

Die Träume vieler Menschen z.B. nach einem Eigenheim, einer gesicherten Zukunft wären mit einem Mal zerstört. Der Know-How Verlust wäre enorm. Die hochqualifizierten Mitarbeiter*innen würden sukzessive ihrer Kenntnisse verlustig, Millionen von Euro, die in die Bildung, Ausbildung und Weiterqualifikation investiert wurden, wären verloren.

Selbstverwaltung

Daher gilt es, die Produktion am Standort Steyr aufrecht zu erhalten. Die Beschäftigten des Werks in Steyr sollen den Betrieb übernehmen und in Eigenregie weiterführen. Das Startkapital soll aus der durch die Stadtortgarantie zugesicherten Lohnsumme bis 2030 sowie industriepolitischer Subventionen durch Bund und Land kommen. Der Geschäftsplan ist im Sinne einer just transition, also einem gerechten Übergang zu einer sozial-ökologischen Transformation der Produktpalette anzulegen, die Kenntnisse und Qualifikationen der Beschäftigten in Steyr sollen als Basis eines Geschäftsplanes dienen. Insofern könnte die Produktion von Kleinen LKWs, Laster und Bussen auf einer nachhaltigen Antriebsbasis, vorzugsweise von Wasserstoff, zur Anwendung kommen.

Die Ausrichtung der Produktpalette wäre realistischer Weise auf Nischen- und/oder Spezialprodukte zu orientieren. Ein Mitmischen im Wettbewerb in dem oligopolistisch aufgeteilten Markt für LKWs und Nutzfahrzeuge wäre angesichts nicht zu erreichender economies of scale wohl aussichtslos. Die Entscheidung über den Geschäftsplan soll aber durch die Beschäftigten von Steyr fallen.

Die beste Lösung wäre eine staatliche Beteiligung am Unternehmen und eine Mitarbeiterbeteiligung. Der Staat soll nur als Investor auftreten. Als Rechtsform sollte eine Genossenschaft gewählt werden, in der nur die Beschäftigten nach dem Prinzip: eine Person eine Stimme ein Stimmrecht haben sollten. Die Beschäftigten sollen ihr Management selbst bestimmen bzw. wählen können.

Es soll keine Möglichkeit der Mitarbeiter*innen im neuen Werk geben, seine/ihren Anteil/Stimme zu verkaufen. Wenn er/sie das Beschäftigungsverhältnis mit dem neuen Werk in Steyr beendet, verfällt sein/ihr Anteil an die Allgemeinheit der Beschäftigten des Steyr Werkes. Gewinne dürfen nicht ausbezahlt werden, sie müssen thesauriert werden.

Das Ziel ist, das neue Unternehmen aus dem Profitkreislauf herauszunehmen, um sozial-ökologisch vertretbare Produkte zu produzieren und die Arbeitsplätze in Steyr bzw. in der Region zu erhalten. Das neu zu bildende Steyr Werk könnte dazu ein Vorbild sein.

Resolution 01 / Ethik in der Arbeitswelt

der AUGE/UG -Alternative, Grüne und Unabhängige GewerkschafterInnen
zur 175. Vollversammlung der Arbeiterkammer Wien am 5. Mai 2021

Antrag mehrheitlich zugewiesen:
FA, GA, Persp, FAIR, Kom.: ja
FSG, ÖAAB, ARGE, GLB, Türk-is: für Zuweisung

Antragsbehandlung im Ausschuss Arbeit und Arbeitsmarkt

Die 175. Vollversammlung der Arbeiterkammer Wien möge beschließen:

  • Die Arbeiterkammer Wien bekennt sich zu einer Ethik der Arbeitswelt.
    Sie umfasst das Recht auf menschenwürdiges Arbeiten und setzt sich für ein an sozialen und ökologischen Kriterien orientiertes Wirtschaftssystem ein.
  • Mit den Ressourcen der AK Wien sollen Modelle einer den Menschenrechten folgenden, auf Gleichberechtigung ausgerichteten, sozialen und gesunden Arbeitswelt entwickelt werden.
  • Dabei sind Transparenz, Informations- und Wissensvermittlung wesentliche Faktoren, um menschenwürdige Arbeit zu ermöglichen.

Insbesondere wird die Arbeiterkammer Wien aufgefordert,

  • die Auswirkungen von Ökonomisierungs-, Digitalisierungs- und Deregulierungsprozessen auf Arbeitsbedingungen und Arbeitsinhalte zu erforschen, einen breiten Diskussionsprozess über diese Themen zu initiieren und dabei gewonnene Erkenntnisse in Gesetzesinitiativen einzubringen.
  • Beratungs- und Interventionsstellen zu schaffen, die Arbeitnehmer*innen und Betriebsrät*innen zur Verfügung stehen, wenn sie mit unethischen, Menschen und Umwelt schädigenden, ausschließlich an ökonomischem Nutzen orientierten Arbeitsbedingungen konfrontiert sind, oder durch Digitalisierung und Deregulierung eine Entwertung ihrer Arbeit erfahren.
  • Zudem wird die Arbeiterkammer Wien aufgefordert, sich dafür einzusetzen, dass die Mitwirkungsrechte von Arbeitnehmer*innen und Betriebsrät*innen bei der Gestaltung von Arbeitsstrukturen und Arbeitsinhalten in den entsprechenden Gesetzen ausgeweitet werden.

Die Forderung nach einem guten Leben für alle charakterisiert seit einiger Zeit gewerkschaftliche Organisation und Vertretung von Arbeitnehmer*innen-Interessen. Auch die Internet-Startseite der AK Wien stellt dieses einprägsame Leitmotiv ins Zentrum ihrer Informationsvermittlung.

Das gute Leben für alle verlangt nach einer Ethik der Arbeitswelt: Ethik ist jene philosophische Teildisziplin, die seit der Antike die Frage nach einem guten, gelungenen Leben und den ihm zugrundeliegenden, handlungsleitenden Werten stellt. Auf Arbeit bezogen bedeutet diese Auseinandersetzung beispielsweise Produktionsprozesse kritisch zu hinterfragen und auf allen Ebenen Orientierungshilfen zu entwickeln, deren Maxime nicht weniger als das gute Leben für alle ist.

Arbeiterkammern, Gewerkschaften und NGOs haben sich daher erst vor kurzem in einer europaweiten Kampagne mit der Verantwortung der Unternehmen für menschenrechtswidrige und umweltschädigende Aktivitäten entlang ihrer Lieferketten, unabhängig davon, ob sich ihre Subunternehmen und Zulieferer in oder außerhalb der EU befinden, befasst.
Denn das gute Leben für alle ist nicht teilbar, ebenso wenig wie die Grund- und Menschenrechte, die es ermöglichen.

Doch die Frage nach ethisch guter Arbeitsorganisation stellt sich nicht nur im Zusammenhang mit der Ausbeutung von Menschen in Drittstaaten. Auch hier in Europa und Österreich sind wir immer wieder von Neuem mit ethischen Problemstellungen konfrontiert, insbesondere wenn Ökonomisierung, Digitalisierung und Deregulierung Produktion und Dienstleistung dominieren.

Ökonomisierung

Die neoliberale Wirtschaftsideologie der letzten Jahrzehnte brachte mit sich, dass sämtliche Arbeitsfelder, inklusive Soziale Arbeit, Bildung, Kultur und Gesundheitswesen durchgängig von ökonomischen Gesichtspunkten dominiert wurden. Im Vertrauen auf die Wirksamkeit betriebswirtschaftlicher Instrumente wurde ökonomisch messbare Nützlichkeit annähernd überall zum obersten Leitprinzip erhoben.

Darüber hinaus führte die Krise auf dem Arbeitsmarkt in der letzten Zeit zu einem gesteigerten Konkurrenzdruck.
Unter der Ausnutzung von Gesetzeslücken konnten große Konzerne in den letzten Monaten ihre Marktmacht ausbauen und auf Kosten der Arbeitnehmer*innen Rekordgewinne einfahren. Die Verletzung von arbeitsrechtlichen Bestimmungen, prekäre Beschäftigungsverhältnisse, massiver Arbeitsdruck bis hin zu Disziplinierungsmaßnahmen und permanenter Überwachung der Arbeitsleistung bei schlechter Entlohnung wurden zu ‚normalen‘ Begleiterscheinungen. Die Interessen der Beschäftigten, eine demokratische Betriebskultur, die Mitwirkung von Belegschaftsvertretungen fielen der Profitgier großer Konzerne zum Opfer.

Eine auf Profitmaximierung ausgerichtete Wirtschaftsweise wirkt zerstörend auf Umwelt und Menschenrechte und fördert Ungleichheit. Und die Zerstörung des Ökosystems durch die neoliberal gesteuerte, rein ökonomische Globalisierung der letzten Jahrzehnte ist darauf ausgerichtet, noch weit größere Krisen hervorzurufen, als wir sie gegenwärtig erleben.

Spätestens seit Ausbruch der Coronapandemie wird deutlich, dass Werte wie Kooperation, Solidarität und ein achtsamer Umgang mit den Bedürfnissen der Menschen zur Problembewältigung beitragen, während die neoliberale Ideologie der Ökonomisierung aller Lebensbereiche in der Krise versagt.

Übertragen auf die Arbeitswelt verlangt diese Erkenntnis in Betrieben und Organisationen eine Ethik der Mitbestimmung, Fairness und Kooperation. Im Sinne des guten Lebens für alle muss die Erarbeitung sinnvoller Ergebnisse ermöglicht werden. Beispiele für sinnvolle Arbeitsergebnisse aufgrund ethischer Entscheidungen in der Arbeitswelt sind die Produktion und Wiederverwertung nachhaltig funktionsfähiger Produkte, die in einer Kreislaufwirtschaft CO2-sparend genützt werden können, sowie soziale Dienstleistungen, die über kurzfristige statistische Erfolge hinaus langfristig wirksam zur Lösung sozialer Probleme beitragen.
Eine Ausweitung des Arbeitnehmer*innen-Schutzes und der Arbeitsverfassung sollte zur Verankerung dieser Werte beitragen und der Forderung nach dem guten Leben für alle die zu ihrer Durchsetzung nötigen Instrumente hinzufügen.

Digitalisierung

Der jüngste Digitalisierungsschub, ausgelöst durch die Coronapandemie, sorgt in der Arbeitswelt für veränderte Realitäten. Schneller als angenommen, stellen wir uns neuen Herausforderungen: Viele von uns arbeiten im Homeoffice, E-Mails, Chats und vielfältige Videotools wurden zu unseren wichtigsten Arbeitswerkzeugen.

Schon vor dieser Digitalisierungswelle wurden Arbeitsabläufe mittels Prozess- und Qualitäts-Management zunehmend nach dem Vorbild von Computer-Programmen entworfen und angeordnet. In weiterer Folge wurden Arbeitsabläufe strengen Standards unterworfen und die Arbeit mittels Algorithmen zugeordnet, eingeordnet und dokumentiert. Von Digitalisierungs- und Rationalisierungsexpert*innen werden Standardmodelle entwickelt und entwerten sowohl die Teamarbeit als auch die Eigenständigkeit der Menschen bei der Erarbeitung von Arbeits-Ergebnissen. Mit Auswertung und Bewertung wird, bis hin zur Umstrukturierung von Unternehmen, Digitalisierung ohne Beachtung ethischer Kriterien vorangetrieben.

Die technischen Möglichkeiten engmaschiger Kontrolle der Arbeitnehmer*innen sowie der ununterbrochenen Auswertung und Bewertung ihrer Arbeitsleistung werden durch Digitalisierung fortlaufend erweitert.
In immer kürzeren Abständen stehen Interessenvertretungen vor der Aufgabe, klare Grenzziehungen zum Schutz der Persönlichkeitsrechte der Mitarbeiter*innen vorzunehmen.
Die spezifische Sensibilisierung und Qualifizierung von Betriebsrät*innen, die zunehmend damit befasst sind, Betriebsvereinbarungen zur Begrenzung technischer Überwachungs- und Bewertungs-Möglichkeiten zu verhandeln, wird zu einer immer dringenderen Herausforderung.
Auch hier sind ethische Fragen grundlegend und handlungsleitend: Wie kann Digitalisierung Arbeit unterstützen, wie kann verantwortungsvolle und ressourcenschonende Nutzung gefördert und fremdbestimmte Gleichschaltung der Mitarbeiter*innen verhindert werden?
Auch in diesem Zusammenhang ist zu prüfen, ob die vorhandenen gesetzlichen Bestimmungen noch genügend Handhabe bieten, die Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmer*innen in einer digitalisierten Arbeitswelt zu schützen.
Handlungsleitende Werte wären dabei Transparenz und Wissensvermittlung, die den Arbeitnehmer*innen kompetente Kontrolle über ihre Arbeitsmittel und ihren Arbeitsplatz ermöglichen. Unverzichtbare Voraussetzungen sind auch hier Mitsprache und die Chance, den Einsatz von Technologien ethisch zu reflektieren, zu bewerten und mitzugestalten.

Deregulierung

Im Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte sind die UN-Mitgliedsstaaten vor Jahrzehnten übereingekommen, dass „Bildung auf die volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit und des Bewusstseins ihrer Würde gerichtet sein und (…) es allen Menschen1 ermöglichen muss, eine nützliche Rolle in einer freien Gesellschaft zu spielen“.2
Als wesentlicher Teil der Gesellschaft sollte die Arbeitswelt von diesem Menschenrecht auf Bildung und deren sinnvolle Anwendung nicht ausgenommen sein.

Deregulierungsprozesse in öffentlichen und privaten Unternehmen und Institutionen haben jedoch dazu geführt, dass Arbeitnehmer*innen unter dem Schlagwort ‚Flexibilität‘ aufgefordert werden, Tätigkeiten durchzuführen, für die sie nicht qualifiziert sind, bzw. ihre Qualifikation, ihr Wissen und ihre Erfahrung zugunsten betriebswirtschaftlicher Kostenreduktions-Pläne zurückzustellen. So werden beispielsweise im Sozialbereich Beratungen und Hausbesuche zunehmend nicht mehr von ausgebildeten Sozialarbeiter*innen, sondern von administrativen und anders qualifizierten Mitarbeiter*innen durchgeführt. Damit vergleichbar, wird im Pflegebereich die Arbeit „am Krankenbett“, also die direkte Pflege von Menschen, an die Mitarbeiter*innen-Gruppen mit der kürzesten Ausbildung delegiert, während qualifizierte Krankenpflege zunehmend in ‚Management‘ und medizinischer Assistenz verortet wird.

Die ständige Flexibilitäts-Anforderung mag Personalentwicklungsmaßnahmen nach sich ziehen, also vordergründig bildungsfördernd erscheinen, entwertet aber auch Ausbildung, Erfahrung und die Fähigkeit zu selbstverantwortlichem, qualifiziertem Handeln: Beliebig einsetzbare ‚flexible Mitläufer*innen treten an die Stelle kreativer, zur Reflexion fähiger Fachkräfte.

Selbstverständlich spielt auch hier Digitalisierung eine wesentliche Rolle: Die Dokumentation der Leistungen der Arbeitnehmer*innen wird zwar für den Modulbau ‚unterstützender‘ Software verwendet, führt aber allzu oft dazu, dass Arbeitnehmer*innen mit einer technischen Ausstattung konfrontiert sind, die ihre Leistungen zerstückelt und in kleine Arbeitspakete aufteilt, die auch ohne spezielle Ausbildung durchgeführt werden können.
Das macht die automatisierte Arbeit monoton und bis hin zur Dequalifizierung der Durchführenden unkreativ. Auf jeden Fall ist sie für die Dienstgeber-Seite kontrollierbar.
In Stellen-Ausschreibungen finden sich neue, vorwiegend englischsprachige Berufsbezeichnungen. Veränderte Berufsbezeichnungen verschleiern oftmals Stellen mit schlechterer Bezahlung, was erst bei näherer Analyse als getarntes Lohndumping erkennbar wird.

Ein weiterer Deregulierungsprozess betrifft den Arbeitsort: Unternehmer*innen haben in der Coronakrise festgestellt, dass sich durch Homeoffice Kosten für Büroraum und -ausstattung ebenso wie Betriebskosten einsparen lassen. Arbeitnehmer*innen stellen ihren privaten Wohnraum als außerbetriebliche Arbeitsstätte zur Verfügung und nehmen eine Steigerung des privaten Energieaufwandes und das Risiko ungeklärter Haftungs- und Versicherungsfragen in Kauf.
Für die Interessenvertretung der Arbeitnehmer*innen ergibt sich daraus ein beträchtlicher Handlungs- und Regelungsbedarf. Aktuell werden in zahlreichen Unternehmen und Organisationen Betriebsvereinbarungen zum Thema ‚Homeoffice‘ verhandelt.
Eine stärkere betriebs- und branchenübergreifende Kooperation wäre bei der Bewältigung dieser Aufgabe zweifellos hilfreich.
Dass Homeoffice von vielen Arbeitnehmer*innen als positiv erlebt wird, weil die Arbeitsorganisation weniger als fremdbestimmt, Hierarchie weniger als einengend und Kooperation als weniger konfliktreich erlebt wird, sollte weitere Hinweise auf eine notwendige Ethik der Arbeitswelt geben.

Die Deregulierung der Arbeit führte außerdem zu einer rasanten Zunahme prekärer Arbeitsverhältnisse. Die Coronakrise führt nun deutlich vor Augen, wie schnell Prekarisierung und Scheinselbständigkeit in die Armut führen können. Ein Beispiel dafür ist die fehlende Absicherung vieler Kulturarbeiter*innen während der pandemiebedingten Lock-Downs.

Kenntnis, Beachtung und Überprüfung der Umsetzung europäischer und internationaler Vereinbarungen zum Schutz von Arbeitnehmer*innenrechten sollte wesentlich zur Ethik der Arbeitswelt beitragen. Die Europäische Säule Sozialer Rechte verlangt beispielsweise in Kapitel 2, Absatz 5, dass „Beschäftigungsverhältnisse, die zu prekären Arbeitsbedingungen führen, (…) unterbunden (werden), unter anderem durch das Verbot des Missbrauchs atypischer Verträge.“3

Das gute Leben für alle erfordert eine Ethik der Arbeitswelt, die sicherstellt, dass Menschen ihre Kenntnisse, ihre Berufs- und Lebenserfahrung, ihre Qualifikationen und Problemlösungskompetenzen in sinnvolle Arbeitsprozesse einbringen können, und dafür Wertschätzung erfahren – sowohl in materieller Hinsicht, als auch in Form von ernst gemeinter Anerkennung und Einbeziehung in Entscheidungsprozesse.
Die sozialstaatliche Absicherung muss allen zugutekommen und muss der Tatsache, dass immer mehr Menschen durch Sozialversicherungssysteme unzureichend geschützt sind, durch entsprechende gesetzliche Maßnahmen entgegenwirken. Hier geht es um den ethischen Wert der sozialen Inklusion aller als Voraussetzung für ein gutes Leben.

Schlussbemerkung

In diesem Text war bisher undifferenziert von ‚Arbeitnehmer*innen‘ bzw. ‚Menschen‘ oder ‚allen‘ die Rede. Es ist jedoch erforderlich, alle Maßnahmen, auch die Verbesserung gesetzlicher und organisatorischer Rahmenbedingungen für eine Ethik der Arbeitswelt immer auf ihre Auswirkung auf Frauen und Männer und deren Gleichstellung zu prüfen. Darüber hinaus bleibt Frauen-Förderung auch in ethischer Hinsicht, vor allem im Hinblick auf soziale Gerechtigkeit eine Notwendigkeit. So lange Frauen benachteiligt werden, bleibt das gute Leben für alle theoretisch und illusionär.

  1. Im Originaltext: „jedermann“.
  2. Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Staatsvertrag), Artikel 13, 1 https://www.ris.bka.gv.at/ Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte – Bundesrecht konsolidiert, aufgerufen am 17.3.2021.

  3. Europäische Union: Die europäische Säule sozialer Rechte in 20 Grundsätzen, Kapitel II: Faire Arbeitsbedingungen, 5. Sichere und anpassungsfähige Beschäftigung. https://ec.europa.eu/info/strategy/priorities-2019-2024/economy-works-people/jobs-growth, aufgerufen am 17.3.2021.

Antrag 11 / Kein Aushebeln des § 101 Arbeitsverfassungsgesetz „verschlechternde Versetzungen“

der AUGE/UG -Alternative, Grüne und Unabhängige GewerkschafterInnen
zur 175. Vollversammlung der Arbeiterkammer Wien am 5. Mai 2021

Antrag mehrheitlich zugewiesen:
ÖAAB, FA, GA, Persp, FAIR, ARGE, GLB, Türk-is, Kom.: ja
FSG: für Zuweisung

Antragsbehandlung im Ausschuss Arbeit und Arbeitsmarkt

Die 175. Vollversammlung der Arbeiterkammer Wien möge beschließen:

Die Arbeiterkammer Wien setzt sich dafür ein, diese Praxis der Aushebelung der Mitwirkungsrechte des Betriebsrates bei Versetzungen durch geeignete rechtliche aber auch politische Maßnahmen zu unterbinden.

In den letzten Jahren ist immer öfter ein Aushebeln der Mitwirkungsrechte des Betriebsrates bei Versetzungen durch die Arbeitgeber*innen, insbesondere im Dienstleistungsbereich, festzustellen. § 101 ArbVG stellt fest: „Ist mit der Einreihung auf einen anderen Arbeitsplatz eine Verschlechterung der Entgelt- oder sonstigen Arbeitsbedingungen verbunden, so bedarf sie zu ihrer Rechtswirksamkeit der Zustimmung des Betriebsrates.“

Stimmt der Betriebsrat einer Entgeltreduktion nicht zu, wird oft seitens der Arbeitgeber*innen dem/der betroffenen Arbeitnehmer/in angedroht, eine Änderungskündigung zu noch schlechteren Bedingungen durchzusetzen, als bei der zuvor angedrohten verschlechternden Versetzung vorgesehen war. Dadurch wird die Schutzbestimmung des § 101 ausgehebelt.

Die wenigsten Arbeitnehmer*innen sind danach bereit, diese offensichtliche Benachteiligung vor Gericht zu bekämpfen. Zudem dürfte die Judikatur nicht gerade arbeitnehmer*innen-freundlich sein. Die Arbeits- und Sozialgerichte dürften in der Regel, im Falle der Ablehnung des Betriebsrates zur verschlechternden Versetzung, eine Gehaltsreduktion von 15 bis 20 Prozent als akzeptabel betrachten und eine Klage des/der Arbeitnehmer*in abweisen. Insofern muss der/die betroffene Arbeitnehmer*in in jedem Fall eine Gehaltsreduktion akzeptieren, wenn sie/er den Job nicht verlieren möchte.

Bei diesem Aushebeln handelt es sich geradezu um ein Paradebeispiel von struktureller Macht der Arbeitgeber*innen im österreichischen Rechtssystem. Der Zynismus dieser Arbeitgeber*innen wird noch weiter auf die Spitze getrieben, wenn sich die schon positive Ertragslage der betroffenen Unternehmen weiter erhöht haben und gleichzeitig Gehaltsreduktionen bei den Arbeitnehmer*innen durchgesetzt werden.

Antrag 03 / Mitsprachmöglichkeit des Betriebsrates bei Umstrukturierungen verbessern

der AUGE/UG – Alternative, Grüne und Unabhängige GewerkschafterInnen zur 168. Hauptversammlung der Bundesarbeitskammer am 28. November 2019

Antrag einstimmig angenommen

Antragserledigung im BAK-Vorstand

Die 168. Hauptversammlung der Bundesarbeitskammer möge beschließen:

Die Bundesarbeitskammer setzt sich für eine Erweiterung des Begriffs Betriebsänderung ein. Zudem fordert sie eine verpflichtende Berücksichtigung der Stellungnahme des Betriebsrates mit einem klaren Procedere.

Betriebsänderungen sind Bestandteil im Alltag des Betriebsrates. Betriebsänderung ist nicht nur Outsourcing von Betriebsteilen. Auch Neustrukturierungen bedeuten für die MitarbeiterInnen, dass sich ihr Arbeitsalltag verändert. Sei es die Zusammenlegung von Betriebsteilen oder die Umwandlung von Einzelbüros in ein Großraumbüro. Die Auswirkung solcher Maßnahmen auf das Betriebsklima kann enorm sein und auch für die ökonomische Entwicklung eines Betriebes bedeutsam werden.
Zwar räumt das Gesetz dem Betriebsrat ein Informations- und Beratungsrecht ein. Seit 2011 gilt, dass die „Information zu einem Zeitpunkt, in einer Weise und in einer inhaltlichen Ausgestaltung zu erfolgen hat, die dem Zweck angemessen sind und es dem Betriebsrat ermöglichen, die möglichen Auswirkungen der geplanten Maßnahme eingehend zu bewerten und eine Stellungnahme abzugeben“. Ob diese Stellungnahme jedoch berücksichtigt wird oder mit freundlicher Ignoranz in der Schreibtischschublade verschwindet, bleibt der Betriebsleitung überlassen.
Eine wirkliche Parität der Mitbestimmung, also eine gleichberechtigte Teilhabe am Entscheidungsprozess in wirtschaftlichen Angelegenheiten, fehlt.

Es braucht zum einen eine verpflichtende Berücksichtigung der Stellungnahme des Betriebsrates, zum anderen eine Erweiterung des Begriffs Betriebsänderung. Hinsichtlich der Stellungnahme sollte es ein klar strukturiertes Procedere geben, an dem sich die Verhandlungspartner orientieren können. In einem ausgewogenen Dialog sollte die Betriebsleitung nachvollziehbar begründen, wie die Stellungnahme des Betriebsrates berücksichtigt worden ist.

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