Leben in Würde ist mehr als die pure Absicherung der ökonomischen Existenz: Menschen brauchen nicht allein Essen, Trinken und ein Dach über den Kopf, sondern auch Zugang zum gesellschaftlichen Reichtum: zu Bildung, zu Gesundheitsleistungen, zu Chancen, zu Information. Und bisweilen brauchen sie auch Unterstützung bei der Wahrnehmung dieser Chancen.
Tatsache ist, dass die derzeitige Mindestsicherung nicht in der Lage ist, Menschen in Problemsituationen bei der Bewältigung ihrer Probleme effektiv zu unterstützen: Zahlreiche Bundesländer interpretieren die Regelungen zur Mindestsicherung zu ihrem Vorteil – das heißt: zum Nachteil der Menschen, die Unterstützung benötigen. Und immer mehr Länder versuchen – offensichtlich entgegen der geltenden Rechtslage, der österreichischen Verfassung und dem europäischen Recht – Menschen mit reduzierten Leistungen weiter auszugrenzen: etwa Familien mit einem Höchstdeckel (wie es die ÖVP in Niederösterreich fordert), der bereits eine Familie mit zwei Kindern unterversorgt zurücklässt; oder Subsidiär Schutzberechtigte und anerkannte Flüchtlinge, in dem diesen die Versorgung unter das Lebensminimum gekürzt wird (wie es zum Teil bereits in Niederösterreich, dem Burgenland und zukünftige wohl auch in Oberösterreich gehandhabt wird).
Im besten Fall beschränkt sich die Mindestsicherung auf eine Geldleistung. Aber nicht einmal diese ist ausreichend: Ein Vergleich der Daten der Statistik Austria betreffend Armutsgefährdung und Ausgrenzung zeigen, dass viele Bundesländer bis zu 80% der Menschen, die Hilfe aus der Mindestsicherung benötigen, nicht erfassen.
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40% -Schwelle (=BMS-Richtsatz) |
BMS-BezieherInnen |
armutsgefährdete Menschen ohn BMS |
Non-Take-Up-Rate |
Burgenland |
8609 |
3.203 |
5406 |
62,8 |
Kärnten |
33335 |
5.020 |
28315 |
84,9 |
NÖ |
64859 |
21.407 |
43452 |
67,0 |
OÖ |
56878 |
16.200 |
40678 |
71,5 |
Salzburg |
21316 |
12.468 |
8848 |
41,5 |
Steiermark |
36375 |
22.104 |
14271 |
39,2 |
Tirol |
35919 |
14.258 |
21661 |
60,3 |
Vorarlberg |
26171 |
9.523 |
16648 |
63,6 |
Wien |
140288 |
134.209 |
6079 |
4,3 |
Summe |
423750 |
238.392 |
185358 |
43,7 |
Jene, die erfasst werden, erhalten keine Unterstützung etwa bei der Überwindung von Problemlagen, keinen Zugang zu Bildung, keine effektive Beratung und schon gar keine Betreuung.
Dies macht das System der Mindestsicherung angreifbar: Die Mindestsicherung leistet nicht das, was sie leisten müsste. Sie führt nicht zur nachhaltigen Inklusion der betroffenen Menschen.
Um eine nachhaltige Inklusion von Menschen zu ermöglichen, bedarf es einer echten Grundsicherung. Einer Grundsicherung, die sich nicht auf eine zu niedrige Geldleistung beschränkt, sondern allen Menschen in Problemlagen – also nicht etwa nur armutsgefährdeten, sondern auch ausgrenzungsgefährdeten Menschen – offensteht. Armut und Ausgrenzung haben zahlreiche Ursachen: schlechte Ausbildung, familiäre Probleme, Schulden, Krankheit, Verlust des Arbeitsplatzes, Betreuungsverpflichtungen, … um nur einige Problemlagen zu nennen.
Vor dem Eintritt von Armut und Ausgrenzung gibt es jedoch regelmäßig eine Phase, in der Probleme eintreten, ohne dass nachhaltige Folgen bereits eingetreten sind. Ziel einer Grundsicherung, die ihren Namen verdient, muss es sein, bereits in diesen Situationen Menschen zu unterstützen.
Neben den genannten Problemlagen fällt jedoch auch auf, dass der Übergang zwischen zwei Lebensabschnitten Menschen besonders anfällig für Armuts- und Ausgrenzungsgefährdung macht. Allein schon die Durchsicht altersspezifischer Arbeitslosigkeitsdaten zeigt deutlich auf, dass etwa das System der dualen Ausbildung eine unterdurchschnittliche Betroffenheit der Menschen bis 19 Jahren von Arbeitslosigkeit zur Folge hat, die darauffolgende Alterskohorte jedoch zu den von Arbeitslosigkeit am stärksten betroffenen Altersgruppen zählt. Ebenso hoch ist auch die Arbeitslosigkeit bei Menschen über 55 Jahren. Es ist somit evident, dass jene Altersgruppen, die gerade in das Berufsleben einsteigen oder kurz davor sind, in die Alterspension zu wechseln, besonders stark von Problemlagen in Zusammenhang mit Erwerbstätigkeit betroffen sind.
Arbeitslosenquoten nach Altersgruppen
Übergangsproblematiken werden jedoch auch vom immer schneller werdenden Wandel im Berufsleben ausgelöst: Eine sinkende durchschnittliche Dauer eines Beschäftigungsverhältnisses kombiniert mit erheblichen technologischen Veränderungen begünstigt Problemlagen, die in Armut und Ausgrenzung münden können. Darüber hinaus gibt es noch ca. 400.000 Menschen in Österreich, die zwar nicht unmittelbar armutsgefährdet, jedoch in erheblichem Maße ausgrenzungsgefährdet sind.
Es ist daher ganz besonders wichtig, eine Grundsicherung zu schaffen, die an den Auslösern von Armut und Ausgrenzung ansetzen und nicht erst dann wirkt, wenn Armut und Ausgrenzung bereits eingetreten sind. Dazu zählt auch die Schaffung individueller Rechtsansprüche unabhängig vom Einkommen bzw. vom jeweiligen Haushaltseinkommen. So fällt etwa auf, dass Menschen mit Behinderung regelmäßig und in fast allen Bundesländern nicht als TrägerInnen individueller Rechte angesehen werden, sondern als MitbewohnerInnen eines Haushalts. Dies ist nicht nur in grundrechtlicher und moralischer Hinsicht unerträglich, sondern verursacht regelmäßig erhebliche Beeinträchtigungen aller Haushaltsangehöriger.
Eine echte Grundsicherung wirkt aber nicht nur dort, wo Problemlagen schon entstanden und erkennbar sind, sondern bietet auch Menschen, die nicht unmittelbaren Problemlagen ausgesetzt sind, Unterstützung bei der Prävention, etwa in Zusammenhang mit Unterstützung bei der Betreuung von Familienangehörigen, in Phasen, in denen eine berufliche Neuorientierung überlegt wird, bei Veränderungen der Wohnsituation oder bei der Bewältigung familiärer Probleme.