Resolution zur 147. Hauptversammlung der Bundesarbeitskammer am 25. November 2010

Am 29. September 2010 präsentierte die Europäische Kommission ein sechs Punkte umfassendes Legislativpaket um die wirtschaftspolitische Steuerung zu stärken. Dieses soll vom Rat, vom Europäischen Parlament und vom Wirtschafts- und Sozialausschuss geprüft und – so Wunsch der EU-Kommission – zügig angenommen werden. Mit diesen Vorschlägen will die Kommission gewährleisten, „dass die EU und der Euroraum von einer wirksamen Koordinierung der Wirtschaftspolitik“ profitiert. Weiters soll vorgeschlagenes Paket „die erforderliche Stärke für eine solide Wirtschaftspolitik verschaffen“ und zu „… einem nachhaltigen Wachstum und zur Schaffung von Arbeitsplätzen beitragen“

Tatsächlich stellt dieses Paket – sollte es beschlossen und umgesetzt werden – allerdings eine massive Verschärfungen des Stabilitäts- und Wachstumspakts sowie erweiterte Möglichkeiten für die EU-Kommission, unmittelbar in die innerstaatliche Budget- und Wirtschaftspolitik einzugreifen, dar. So sehen die Vorschläge der EU-Kommission u.a. schärfere Sanktionen und Strafen vor, die unmittelbar von der Kommission verhängt und vom EU-Rat nur innerhalb einer ausgesprochen kurzen Frist widerrufen werden können, wenn etwa von einer „vorsichtigen Finanzpolitik“ – wie sie von der EU-Kommission verstanden wird – abgewichen wird. Weiters finden sich im Legislativpaket auch Forderungen nach einer rascheren Beschleunigung des Schuldenabbaus, welcher ebenfalls stärker sanktionierbar werden soll. Künftig soll es der EU-Kommission zusätzlich ermöglicht werden, im Falle „makroökonomischer“ Ungleichgewichte gegenüber dem betroffenen Mitgliedsländern Empfehlungen auszusprechen, Verfahren gegen EU-Mitgliedsländer einzuleiten. Sollte der betroffene Mitgliedstaat den Empfehlungen der EU-Kommission nicht entsprechend Folge leisten und werden nationalstaatliche Maßnahmen gegen die ökonomischen Ungleichgewichte nicht oder nicht ausreichend ergriffen, soll auch in diesem Falle ein Sanktionsmechanismus in Kraft treten.

Gerade aus ArbeitnehmerInnensicht wurde und wird der Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP) immer wieder heftig kritisiert. Der SWP wirkt nachweislich prozyklisch und beschäftigungsfeindlich. Wäre dieser in der Wirtschaftskrise mit all seinen Konsequenzen angewendet worden, hätte er diese dramatisch verstärkt. Die von der EU-Kommission im ausgesprochenen Empfehlungen zur Rückführung nationaler Budgetdefizite stellen dabei immer wieder Kampfansagen an die Gewerkschaftsbewegung dar, beinhalten Empfehlungen der Kommission doch geradezu gebetsmühlenartig und regelmäßig die Flexibilisierung und Deregulierung von Arbeitsmärkten und Arbeitsverhältnissen sowie Rückbau bzw. die Privatisierung bislang öffentlich finanzierter und organisierter Sozialsysteme, insbesondere der Pensions- und Gesundheitssysteme.

Das vorgelegte Legislativpaket erweckt einmal mehr den Eindruck, dass die Ursachen der Krise mit den Folgewirkungen vermischt werden. Der Schuldenstand einzelner Länder ist tatsächlich bedrohlich, allerdings Folge einer Wirtschaftskrise, deren Ursachen vor allem in der über Jahrzehnte neoliberaler Wirtschaftspolitik immer größer gewordenen Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen, sowie in der seit den 70er Jahren massiv vorangetriebenen Liberalisierung und Deregulierung der Finanzmärkte liegen. Gründe für den steigenden Schuldenstand sind allerdings nicht nur in den im Zuge der Krise getätigten Ausgaben zu suchen, sondern auch in den massiven, krisenbedingten Einnahmeausfällen und auch schon in den Jahren zuvor, wo unter dem Schlagwort des „Standortwettbewerbs“ ein Steuersenkungswettlauf – insbesondere bei Steuern auf Kapital und Vermögen – stattgefunden hat, zu suchen.

Tatsache ist zusätzlich, dass ausgerechnet EU-Mitgliedsstaaten wie Irland oder Spanien über viele Jahre hinweg Budgetüberschüsse erzielten und als „Musterschüler“ hinsichtlich der Einhaltung des SWP galten, gerade allerdings im Zuge der Krise mit massiven Budgetdefiziten und entsprechend stark wachsenden Schuldenständen zu kämpfen haben.

Mit dem vorgelegten 6-Punkte-Paket wird keinerlei Beitrag zur Bewältigung der Ursachen der Krise geleistet. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall: während die automatischen Stabilisatoren des modernen Sozialstaats, im Gegensatz zu den 1920er Jahren, die Folgen der Krise wirkungsvoll abgefedert und einen massiven Einkommensausfall verhindert haben, soll nun ausgerechnet beim Sozialstaat gespart werden. Eine Verschärfung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes sowie eine Stärkung der EU-Kommission gegenüber nationaler Wirtschafts- und Budgetpolitik bis hin zur unmittelbaren sanktionierbaren Beeinflussung führt unweigerlich zu Sozialabbau über Sparpakete bzw. über die Privatisierung von Pensions- und Gesundheitssystemen – wobei gerade auch private Pensionsvorsorge krisenverstärkend wirkt und besonders krisenanfällig ist! Es sollen einmal mehr jene für die Kosten der Krise aufkommen, die für die Krise nicht verantwortlich sind.

Eine automatisierter Sanktionsmechanismus, falls Empfehlungen der EU-Kommission nicht Folge geleistet wird, schränkt die Autonomie und die Budgethoheit demokratisch gewählter nationaler Parlamente empfindlich ein.

Budgetpolitik ist in Zahlen gegossene Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik. Budgetpolitik ist daher zentrales Feld politischer Auseinandersetzung. Es ist eine Frage gesellschaftlicher und politischer Kräfteverhältnisse und entsprechenden Ausverhandlungsprozessen, welche Schwerpunkte im Rahmen Rahmen eines Budgets gesetzt werden, wo investiert wird und wo nicht. Ein mit Sanktionsmechanismen ausgestattetes Regelwerk, sowie eine Institution, die vorgibt, das Meinungsmonopol über richtige und falsche Budgetpolitik zu haben, verneint bzw. relativiert den gesellschaftspolitischen Charakter wirtschaftspolitischer Entscheidungen. Gerade aus ArbeitnehmerInnensicht ist dieser Zugang zu Budget- und Wirtschaftspolitik entschieden abzulehnen, da Politik und staatliche Hand seit jeher umkämpfte Felder unterschiedlicher, vielfach widersprüchlicher und entgegengesetzter Interessen sind, und in diesem Sinne ein Anspruch auf „Objektivität“ und „Neutralität“ nicht erfüllbar ist!

Die Bundesarbeitskammer fordert daher die österreichische Bundesregierung im Rahmen des Europäischen Rates, aber insbesondere auch das EU-Parlament und die EU-ParlamentarierInnen auf, dem 6-Punkte Legislativpaket der EU-Kommission in dieser Form nicht näher zu treten und dieses abzulehnen.

Vielmehr gilt es für die Europäischen Union endlich die logischen Konsequenzen aus der Krise zu ziehen, die jedenfalls in einer starken Regulierung der Finanzmärkte und Finanzinstitutionen, einer Entmachtung der privaten Rating-Agenturen, einem Verbot hochriskanter Finanzprodukte und einer EU-weiten Besteuerung von Finanztransaktionen liegen müssen. Ausserdem ist ein grundlegender wirtschaftspolitischer Kurswechsel auf europäischer Ebene in Richtung Erreichung eines hohen Beschäftigungsgrades, Schaffung und Sicherung qualitativ hochwertiger und sozial gut abgesicherter Beschäftigungsverhältnisse, Ausbau und Stärkung wirtschaftlicher Demokratie, Abbau sozialer Ungleichheit, Sicherung öffentlicher, sozialer Sicherungssysteme und Daseinsvorsorge, Umbau des europäischen Wirtschaftssystems im Sinne der ökologischen Nachhaltigkeit und des Klimaschutzes einzuleiten.

Download: BAK AUGE Resolution_EU_SWP

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