Resolution 01 / Kein Staatsziel „wettbewerbsfähiger Wirtschaftsstandort“ in der Verfassung

der AUGE/UG – Alternative und Grüne GewerkschafterInnen/Unabhängige GewerkschafterInnen

zur 170. Vollversammlung der Arbeiterkammer Wien am 26. April 2018

Antrag mehrheitlich angenommen:
FSG, GA, Persp., GLB, Türkis, Kom., BDFA: ja
ÖAAB, FA: nein

Antragsbehandlung im Ausschuss Umwelt und Energie

Anfang März 2018 gab die Bundesregierung bekannt, den „wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstandort“ als Staatsziel in der Verfassung verankern zu wollen. Das bestehende Verfassungsgesetz über „die Nachhaltigkeit, den Tierschutz, den umfassenden Umweltschutz, die Sicherstellung der Wasser- und Lebensmittelversorgung und die Forschung“ soll um das Staatsziel „Wirtschaftsstandort“ ergänzt werden. Der vorgeschlagene Gesetzestext:

„Die Republik Österreich (Bund, Länder und Gemeinden) bekennt sich zu einem wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstandort als Voraussetzung für Wachstum und Beschäftigung.“

Die verfassungsmäßige Verankerung des Staatsziels „Wirtschaftsstandort“ erscheint aus mehreren Gründen problematisch:

  • Das ursprüngliche Staatsziel zum umfassenden Umweltschutz wurde 1984 als bewusstes Gegengewicht zu den ohnehin verfassungsmäßig gut abgesicherten wirtschaftlichen Grundrechten (z.B. Erwerbsfreiheit, Unverletzlichkeit des Eigentums) geschaffen und sollte sicherstellen, dass neben den in Marktwirtschaften dominanten wirtschaftlichen Interessen auch ökologische Interessen Berücksichtigung finden. Das bestehende Ungleichgewicht zwischen ökologischen und wirtschaftlichen Interessen wäre durch die Verankerung des „wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstandort“ als Staatsziel noch stärker zulasten der Umwelt verschoben.
  • Auch im Gegensatz zu sozialen Grundrechten sind wirtschaftliche Grundrechte deutlich besser geschützt. Bevor es zu einer zusätzlichen Stärkung wirtschaftlicher Grundrechte bzw. Interessen in Verfassungsrang kommt, gälte es zuallererst soziale Grundrechte entsprechend verfassungsrechtlich zu verankern.
  •  „Wirtschaftsstandort“ und „Wettbewerbsfähigkeit“ sind grundsätzlich aus einer ArbeitnehmerInnensicht problematische und ideologisch hoch aufgeladene Begrifflichkeiten unter denen regelmäßig eine Politik des Lohndrucks, des Abbaus sozialer Sicherungssysteme und der ArbeitnehmerInnenrechte statt findet. So wird etwa seitens Teilen der EU-Kommission und Unternehmensverbände zur „Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit“ die Zurückdrängung von kollektivvertraglichen Regelungen und Lohnfindungssystemen zugunsten betrieblicher und Einzelvereinbarungen gefordert. In diesem Sinne kann die Verankerung eines „wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstandorts“ in Verfassungsrang auch ein Instrument zur Aushebelung sozialer Rechte und kollektiver Sicherungssysteme werden.

Die 170. Vollversammlung der Arbeiterkammer Wien möge beschließen:

Die Arbeiterkammer Wien lehnt die Verankerung des „wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstandorts“ als Staatsziel in der Verfassung entschieden ab.

Mit dem Staatsziel „wettbewerbsfähiger Wirtschaftsstandort“ droht sich nicht nur das Ungleichgewicht zwischen ökologischen und wirtschaftlichen Interessen noch stärker zulasten des Umweltschutzes zu verschieben. Zusätzlich besteht die Gefahr, dass die Verankerung des „wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstandorts“ in der Verfassung als willkommener  Hebel zum Abbau sozialer Rechte und kollektiver Sicherungssysteme dienen könnte.

Statt den „Wirtschaftsstandort“ verfassungsrechtlich abzusichern gilt es, die längst überfällige verfassungsmäßige Verankerung sozialer Grundrechte als Gegengewicht zu wirtschaftlichen Grundrechten in der Verfassung zu beschließen.

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