Der Schaden, den hormonell wirksame Chemikalien dem Ökosystem und der menschlichen Gesundheit zufügen können, ist durch eine stetig wachsende Zahl wissenschaftlicher Publikationen belegt1,2,3 Die hormonelle Wirksamkeit eines Stoffes resultiert aus seiner chemischen Struktur, die ihn dazu befähigt, hormonell gesteuerte Prozesse in Organismen zu stören. Deshalb nennt man dieses Stoffe auch Endokrin Disruptive Chemikalien (EDC).
Endokrine Disruptive Chemikalien, bzw. solche, die im Verdacht stehen welche zu sein, begegnen uns in einer Vielzahl von Konsumgütern, etwa als Zusatzstoffe in Lebensmittelverpackungen, Kunststoffartikeln, Körperpflegeprodukten und zahlreichen anderen Gegenständen des täglichen Gebrauchs. Auch zahlreichen derzeit angewendeten Pestizidwirkstoffen werden endokrin disruptive Eigenschaften zugeschrieben.
Die hohe chemische Stabilität – auch Persistenz genannt – die viele dieser Endokrinen Disruptoren auszeichnet, führt zu ihrer Anreicherung in der Umwelt ebenso wie im menschlichen Körper. Der am häufigsten beobachtbare ökologische Effekt von hormonell wirksamen Chemikalien ist die sogenannte “Verweiblichung” von Amphibien, Fischen und anderen Wasserlebewesen, die zum weltweiten Rückgang der Artenvielfalt beiträgt.
Gesundheitsschäden beim Menschen, die nach heutigem Stand der Wissenschaft mit dem Einfluss hormonell wirksamer Chemikalien in Zusammenhang stehen, sind so vielfältig wie die Entwicklungsprozesse und Körperfunktionen, die von den verschiedenen Hormonen gesteuert werden4. Die wichtigsten sind:
Schädigungen des Fortpflanzungsapparats: dazu gehören Reduktion von Spermienzahl und -qualität, verfrühtes Einsetzen der Pubertät, genitale Missbildungen und Brustkrebs.
Schädigung des zentralen Nervensystems, wie Aufmerksamkeitsstörungen (ADHS)
Stoffwechselserkrankungen: Diabetes und Adipositas (Dickleibigkeit)
Erstmals ins Licht der Öffentlichkeit gerückt wurde die Problematik hormonell wirksamer Chemikalien durch eine Gruppe von WissenschafterInnen rund um die US-amerikanische Biologin Theo Colburn Anfang der 90er Jahre5. Das Europäische Parlament verabschiedete 1998 eine Resolution, in der die EU-Kommission aufgefordert wird, Maßnahmen zu ergreifen, um die europäische Gesetzgebung, den wissenschaftlichen Kenntnisstand sowie die Informationspolitik zu endokrinen Disruptoren zu verbessern. Ein Jahr später legte die EU-Kommission eine politische Strategie der Gemeinschaft vor (EC 1999).
In der Folge wurde in mehreren EU-Gesetzen auf hormonell wirksame Chemikalien Bezug genommen und Einschränkungen für diese festgesetzt: erstmals im Jahr 2006 durch die europäische Chemikalienverordnung REACH6, 2009 durch die Pestizidverordnung7 sowie 2011 durch die Biozidverordnung8. Da für die Umsetzungen dieser neuen Regelungen aber Leitlinien für Test- und Bewertungsverfahren, anhand derer Chemikalien als EDC identifiziert und eingestuft werden sollen, fehlen, gehen diese gesetzlichen Regelungen derzeit noch ins Leere. So wurde bis Heute noch keine Chemikalie aufgrund ihrer endokrin disruptiven Eigenschaften vom europäischen Markt genommen.