Antrag 01 / Für eine echte Bedarfsorientierte Grundsicherung

der AUGE/UG – Alternative und Grüne GewerkschafterInnen/Unabhängige GewerkschafterInnen
zur 166. Vollversammlung der Arbeiterkammer Wien am 25. Mai 2016

Antrag mehrheitlich zugewiesen
Persp., ARGE, GLB, Türkis, BDFA: ja
FSG, GA, Kom.: für Zuweisung
ÖAAB, FA: nein

Antragsbearbeitung im Ausschuss Allgemeine Sozial- und Inklusionspolitik, Arbeitsrecht und Rechtspolitik

Die 166. Vollversammlung der Arbeiterkammer Wien möge beschließen

Die Vollversammlung der AK Wien tritt für die Umwandlung der Bedarfsorientierten Mindestsicherung in eine echte Bedarfsorientierte Grundsicherung ein.

  • Diese Grundsicherung steht allen Menschen in Österreich offen und dient nicht allein der Überwindung von Problemlagen und der gesellschaftlichen Inklusion, sondern auch der Prävention.
  • Die Grundsicherung umfasst den Rechtsanspruch auf ein ausreichendes Einkommen zur Führung eines menschenwürdigen Lebens sowie auf jene notwendige Beratung, Betreuung und Unterstützung, die zur Prävention und/oder Überwindung von Problemlagen nötig ist.
  • Rechtsansprüche in der Grundsicherung sind für das Individuum gerichtlich durchsetzbar.
  • Die Grundsicherung sichert ein ausreichendes Einkommen zur Führung eines menschenwürdigen Lebens. Die Höhe der Grundsicherung orientiert sich zumindest am Ausgleichszulagenrichtsatz und ist 14 Mal im Jahr auszubezahlen.
  • Die Grundsicherung beinhaltet einen Rechtsanspruch auf Ausbildung und Qualifikation. Jeder Mensch hat das Recht, unter Bezug der Grundsicherung eine beruflich verwertbare Ausbildung zu absolvieren.
  • Die Grundsicherung garantiert jedem Menschen das Recht auf Beratung, Betreuung und Unterstützung bei der Überwindung der ihn oder sie betreffenden Ursachen und Auslöser von Problemlagen.
  • Die Grundsicherung umfasst den Rechtsanspruch jedes Kindes auf einen qualitativ hochwertigen außerhäuslichen Kinderbetreuungsplatz sowie ganztägige Betreuung.
  • Die Grundsicherung umfasst den Rechtsanspruch von Menschen auf konsumfreie Räume zur Gestaltung der Freizeit.
  • Die Grundsicherung umfasst einen Rechtsanspruch auf Gesundheitsversorgung.
  • Die Grundsicherung umfasst einen Rechtsanspruch auf eine klientInnenorientierte Betreuung und Begleitung sowie auf Unterstützung bei der Durchsetzung von Ansprüchen durch weisungsfreie, klientInnengebundene Case-ManagerInnen.
  • Die Grundsicherung umfasst einen Rechtsanspruch auf Infrastruktur sowie den Zugang zu dieser.

Leben in Würde ist mehr als die pure Absicherung der ökonomischen Existenz: Menschen brauchen nicht allein Essen, Trinken und ein Dach über den Kopf, sondern auch Zugang zum gesellschaftlichen Reichtum: zu Bildung, zu Gesundheitsleistungen, zu Chancen, zu Information. Und bisweilen brauchen sie auch Unterstützung bei der Wahrnehmung dieser Chancen.

Tatsache ist, dass die derzeitige Mindestsicherung nicht in der Lage ist, Menschen in Problemsituationen bei der Bewältigung ihrer Probleme effektiv zu unterstützen: Zahlreiche Bundesländer interpretieren die Regelungen zur Mindestsicherung zu ihrem Vorteil – das heißt: zum Nachteil der Menschen, die Unterstützung benötigen. Und immer mehr Länder versuchen – offensichtlich entgegen der geltenden Rechtslage, der österreichischen Verfassung und dem europäischen Recht – Menschen mit reduzierten Leistungen weiter auszugrenzen: etwa Familien mit einem Höchstdeckel (wie es die ÖVP in Niederösterreich fordert), der bereits eine Familie mit zwei Kindern unterversorgt zurücklässt; oder Subsidiär Schutzberechtigte und anerkannte Flüchtlinge, in dem diesen die Versorgung unter das Lebensminimum gekürzt wird (wie es zum Teil bereits in Niederösterreich, dem Burgenland und zukünftige wohl auch in Oberösterreich gehandhabt wird).
Im besten Fall beschränkt sich die Mindestsicherung auf eine Geldleistung. Aber nicht einmal diese ist ausreichend: Ein Vergleich der Daten der Statistik Austria betreffend Armutsgefährdung und Ausgrenzung zeigen, dass viele Bundesländer bis zu 80% der Menschen, die Hilfe aus der Mindestsicherung benötigen, nicht erfassen.

 

40% -Schwelle (=BMS-Richtsatz)

BMS-BezieherInnen

armutsgefährdete Menschen ohn BMS

Non-Take-Up-Rate

Burgenland

8609

                                   3.203

5406

62,8

Kärnten

33335

                                   5.020

28315

84,9

64859

                                   21.407

43452

67,0

56878

                                   16.200

40678

71,5

Salzburg

21316

                                   12.468

8848

41,5

Steiermark

36375

                                   22.104

14271

39,2

Tirol

35919

                                   14.258

21661

60,3

Vorarlberg

26171

                                   9.523

16648

63,6

Wien

140288

                                 134.209

6079

4,3

Summe

423750

                               238.392

185358

43,7

 

Jene, die erfasst werden, erhalten keine Unterstützung etwa bei der Überwindung von Problemlagen, keinen Zugang zu Bildung, keine effektive Beratung und schon gar keine Betreuung.
Dies macht das System der Mindestsicherung angreifbar: Die Mindestsicherung leistet nicht das, was sie leisten müsste. Sie führt nicht zur nachhaltigen Inklusion der betroffenen Menschen.
Um eine nachhaltige Inklusion von Menschen zu ermöglichen, bedarf es einer echten Grundsicherung. Einer Grundsicherung, die sich nicht auf eine zu niedrige Geldleistung beschränkt, sondern allen Menschen in Problemlagen – also nicht etwa nur armutsgefährdeten, sondern auch ausgrenzungsgefährdeten Menschen – offensteht. Armut und Ausgrenzung haben zahlreiche Ursachen: schlechte Ausbildung, familiäre Probleme, Schulden, Krankheit, Verlust des Arbeitsplatzes, Betreuungsverpflichtungen, … um nur einige Problemlagen zu nennen.

Vor dem Eintritt von Armut und Ausgrenzung gibt es jedoch regelmäßig eine Phase, in der Probleme eintreten, ohne dass nachhaltige Folgen bereits eingetreten sind. Ziel einer Grundsicherung, die ihren Namen verdient, muss es sein, bereits in diesen Situationen Menschen zu unterstützen.
Neben den genannten Problemlagen fällt jedoch auch auf, dass der Übergang zwischen zwei Lebensabschnitten Menschen besonders anfällig für Armuts- und Ausgrenzungsgefährdung macht. Allein schon die Durchsicht altersspezifischer Arbeitslosigkeitsdaten zeigt deutlich auf, dass etwa das System der dualen Ausbildung eine unterdurchschnittliche Betroffenheit der Menschen bis 19 Jahren von Arbeitslosigkeit zur Folge hat, die darauffolgende Alterskohorte jedoch zu den von Arbeitslosigkeit am stärksten betroffenen Altersgruppen zählt. Ebenso hoch ist auch die Arbeitslosigkeit bei Menschen über 55 Jahren. Es ist somit evident, dass jene Altersgruppen, die gerade in das Berufsleben einsteigen oder kurz davor sind, in die Alterspension zu wechseln, besonders stark von Problemlagen in Zusammenhang mit Erwerbstätigkeit betroffen sind.

Diagramm Lukas Arbeitslosenquoten nach Altersgruppen

 

Übergangsproblematiken werden jedoch auch vom immer schneller werdenden Wandel im Berufsleben ausgelöst: Eine sinkende durchschnittliche Dauer eines Beschäftigungsverhältnisses kombiniert mit erheblichen technologischen Veränderungen begünstigt Problemlagen, die in Armut und Ausgrenzung münden können. Darüber hinaus gibt es noch ca. 400.000 Menschen in Österreich, die zwar nicht unmittelbar armutsgefährdet, jedoch in erheblichem Maße ausgrenzungsgefährdet sind.
Es ist daher ganz besonders wichtig, eine Grundsicherung zu schaffen, die an den Auslösern von Armut und Ausgrenzung ansetzen und nicht erst dann wirkt, wenn Armut und Ausgrenzung bereits eingetreten sind. Dazu zählt auch die Schaffung individueller Rechtsansprüche unabhängig vom Einkommen bzw. vom jeweiligen Haushaltseinkommen. So fällt etwa auf, dass Menschen mit Behinderung regelmäßig und in fast allen Bundesländern nicht als TrägerInnen individueller Rechte angesehen werden, sondern als MitbewohnerInnen eines Haushalts. Dies ist nicht nur in grundrechtlicher und moralischer Hinsicht unerträglich, sondern verursacht regelmäßig erhebliche Beeinträchtigungen aller Haushaltsangehöriger.
Eine echte Grundsicherung wirkt aber nicht nur dort, wo Problemlagen schon entstanden und erkennbar sind, sondern bietet auch Menschen, die nicht unmittelbaren Problemlagen ausgesetzt sind, Unterstützung bei der Prävention, etwa in Zusammenhang mit Unterstützung bei der Betreuung von Familienangehörigen, in Phasen, in denen eine berufliche Neuorientierung überlegt wird, bei Veränderungen der Wohnsituation oder bei der Bewältigung familiärer Probleme.