Die Schaffung der Rezeptgebührenobergrenze von 2% des Monatseinkommens wurde von der Regierung bei Schaffung und in der Folge als großer sozialpolitischer Meilenstein verkauft. Tatsächlich ist die Regelung aber in mehreren Bereichen ungenügend.
1.Die Tatsache, dass mit Rezept verschriebene Medikamente, deren Preis unter der Rezeptgebühr liegen, nicht zu den Ausgaben zur Erreichung der Obergrenze mit einberechnet werden, stellt insbesondere bei Menschen, die auf die Einnahme einer größeren Zahl von Medikamenten angewiesen sind, eine erhebliche und unverständliche finanzielle Belastung dar. Diese Belastung hat sich durch die als Entlastungsmaßnahme gedachte Reduktion der Mehrwertsteuer auf Medikamente deutlich verschärft, weil eine Zahl von Medikamenten eben durch die Reduktion des Steuersatzes unter die Preisgrenze der Rezeptgebühr gefallen sind.
2.Bei der Einführung der Rezeptgebührenobergrenze wurde eine zeitnahe Berücksichtigung erworbener Medikamente auf dem Rezeptgebührenkonto versprochen. In der Realität gibt es diese nicht. Wird die Rezeptgebührenobergrenze etwa erst Ende November erreicht, kann dies im laufenden Jahr nicht mehr berücksichtigt werden. Ein ähnliches Einnahmemuster vorausgesetzt kann das Erreichen der Rezeptgebührenobergrenze auch in den folgenden Jahren nicht innerhalb einer Frist erreicht werden, die für den oder die Versicherte(n) tatsächliche Auswirkungen hat. Dies deshalb, weil mit Jahresbeginn das Konto der bezahlten Rezeptgebühren wieder auf Null gestellt wird. Gutschriften des Vorjahres reduzieren lediglich die Zahl der notwendigen Rezeptgebühren, die nun im neuen Jahr erreicht werden muss, um in Genuss der Obergrenze zu kommen. Da Verrechnung durch Apotheken und Versicherungsträger aber bis zu vier Monate in Anspruch nehmen kann, können eine Reihe von Menschen in der Praxis erst nach vier Jahren effektiv eine Rezeptgebührenbefreiung in Anspruch nehmen (oder sich bezahlte Mehrkosten im zweiten Folgejahr ausbezahlen lassen). Gerade im Bereich der Menschen mit niedrigem Einkommen wird somit das sozialpolitisch angestrebte Ziel der finanziellen Entlastung auf Grund der Dauer des Verrechnungsvorganges nicht erreicht.
3.Die Rezeptgebührenbefreiung wird von den Sozialversicherungsträgern exekutiert, indem für Einkommen (etwa Pensionen) unter dem Ausgleichszulagenrichtsatz automatisch der Ausgleichszulagenrichtsatz als Einkommen angenommen wird. Dies ist eine unsachliche Interpretation des Gesetzes und richtet sich vornehmlich gegen Frauen: Faktisch ist die Rezeptgebühren-Obergrenze für diese deutlich höher als 2% des Einkommens.
4.Auch wenn die Administration der Sozialversicherungsträger zum Teil unsachlich und unverständlich ist, liegt deren Ursache auch in der rechtlich unbefriedigenden Situation, dass den Trägern durch den Gesetzgeber zwar eine Rezeptgebühren-Obergrenze auferlegt wurde, dieser aber nicht für den daraus resultierenden Einnahmenausfall aufkommt.
Die Hauptversammlung der Bundesarbeitskammer möge beschließen:
Die 147. Hauptversammlung der BUndesarbeitskammer fordert die Bundesregierung auf, dafür Sorge zu tragen, dass
mit Rezept verschriebene Medikamente, deren Preis unter der Rezeptgebühr liegt, zukünftig in das Rezeptgebühren-Konto einberechnet werden;
eine zeitnahe Berechnung des individuellen Rezeptgebühren-Kontos erfolgt, sodass die sozialpolitisch erwünschte Wirkung überhaupt erreicht werden kann;
die Rezeptgebühren-Obergrenze bei besonders niedrigen Einkommen nicht vom Ausgleichszulagenrichtsatz, sondern vom tatsächlichen Einkommen berechnet wird;
dass die Sozialversicherungsträger den Einnahmenverlust aus der Rezeptgebühren-Obergrenze auch tatsächlich und vollständig ersetzt erhalten.