Die 154. Hauptversammlung der Bundesarbeitskammer möge daher beschließen:
Die Hauptversammlung der Bundesarbeitskammer fordert die künftige Bundesregierung auf, in der kommenden Legislaturperiode zu folgenden Punkten Maßnahmen zu entwickeln, und ihnen Priorität in der Umsetzung einzuräumen:
Arbeit und soziale Sicherheit
- Deutliche Anhebung der Nettoersatzrate auf EU-Durchschnitt, zumindest auf 70 % der Berechnungsgrundlage
- Wegfall der Anrechnung des PartnerInneneinkommen bei der Notstandshilfe
- Anhebung der bedarfsorientierten Mindestsicherung auf Höhe der Armutsgefährdungsschwelle nach EU-SILC
- Einrichtung einer unabhängigen und weisungsungebundenen Arbeitslosen- und Sozialanwaltschaft
- Ein gesetzlicher Mindestlohn von mindestens 8,70 Euro/Stunde, 1.500 Euro/Monat
- Ein Einkommensschutz für Teilzeitbeschäftigte über Mindestarbeitszeitgrenzen sowie Maßnahmen zur Unterstützung „qualifizierter“ Teilzeit (Teilzeit in Führung, Recht auf Stundenaufstockung bei regelmäßig/dauerhaft erbrachten Mehrstunden, Recht auf Teilzeit mit Rückkehrrecht auf Vollzeit …)
- Neue Wege in der aktiven und passiven Arbeitsmarktpolitik, die Arbeitslosigkeit als Strukturproblem begreifen und den Betroffen individuell optimale Angebote stellen, statt die Zumutbarkeitsbestimmungen zu verschärfen
Verteilungsgerechtigkeit
- Einführung einer allgemeinen Vermögenssteuer
- Wiedereinführung einer reformierten Erbschafts- und Schenkungssteuer
- Abschaffung der Steuerprivilegien von Privatstiftungen
- Reform der Grundsteuer im Sinne einer realistischeren Erfassung und Besteuerung von Immobilienwerten und Schonung kleiner und mittlerer Immobilien
- Steuerliche Entlastung der Lohneinkommen über Senkung des Einstiegssteuersatzes
- Verdoppelung der Negativsteuer
- Anhebung des Spitzensteuersatzes auf 55 % bei Einkommen über 140.000 Euro/Jahr.
Bildung/Wissenschaft
- Gemeinsame Schule der 6-15jährigen
- Flächendeckender Ausbau ganztägiger Schulreformen mit entsprechender räumlicher Adaptierung und Schaffung hochwertiger LehrerInnenarbeitsplätze an den Schulen
- Ausbau der Schulsozialarbeit sowie der schulpsychologischen Dienste, Aufstockung des unterstützenden Lehrpersonals (IntegrationslehrerInnen)
- Flächendeckender Ausbau ganztägiger, qualitativ hochwertiger Kinderbetreuungs-/-bildungseinrichtungen insbesondere im elementaren Bildungsbereich
- Moderne und zukunftsorientierte Lehrlingsausbildung
- Erhöhung der Durchlässigkeit der Bildungseinrichtungen (Lehre – Schule, Lehrabschluss- Universitäten/Fachhochschulen etc.)
- Offensive zum Nachholen von Bildungsabschlüssen und Ausbau von Qualifizierungsangeboten
- Förderung des lebensbegleitenden Lernens durch Bildungskonten, Bildungskarenz und Teilzeitbildungskarenz mit Rechtsanspruch
- Sicherung des freien Hochschulzugangs und einer ausreichenden finanziellen Ausstattung zur Absicherung eines qualitativ hochwertigen Lehr- und Forschungsbetriebs sowie entsprechend bezahlten und arbeits- wie sozialrechtlich abgesicherten Arbeitsverhältnissen an Universitäten und Fachhochschulen
- Wiederaufstockung der Mittel für außeruniversitäre Wissenschaft und Forschung
- Keine Kürzung der Ermessensausgaben
Gesundheit und Pflege
- Nachhaltige finanzielle und strukturelle Absicherung des öffentlichen Gesundheitssystems
- Verbesserung der Einkommens- und Arbeitsbedingungen im Pflege- und Gesundheitswesen
- Armut macht krank – daher aktive Armutsbekämpfung durch Existenz sichernde Transferleistungen und eine breite, leicht zugängliche, niederschwellige soziale Infrastruktur
- Deutliche Aufstockung des Pflegefonds aus Mitteln einer Erbschafts- und Schenkungssteuer zur ausreichenden Finanzierung arbeits- und sozialrechtlich abgesicherter und dem gesellschaftlichen Wert der Arbeit entsprechend bezahlter Arbeitsverhältnisse über professionelle Vereine.
- Schluss mit der 24-Stunden-Pflege!
Wirtschaft und Umwelt
- Einrichtung einer staatlichen Übernahme- und Sanierungsgesellschaft („GBI“-Neu)
- Sicherung öffentlichen Eigentums – keine weiteren Privatisierungen!
- Neuausrichtung der ÖIAG von einer Privatisierungs- in eine strategische Beteiligungsgesellschaft
- Verabschiedung eines Bankeninsolvenzrechts unter Beteiligung von EigentümerInnen und Gläubigern in Bankenrettungsmaßnahmen
- ökologische und soziale Wohnbau- und Sanierungsoffensive, Zweckwidmung der Mittel für Wohnbauförderung
- Investitionen in öffentliche Verkehrsnetze – insbesondere in den Personennahverkehr, Lückenschluss und entsprechende Anbindung des ländlichen Raums an öffentliche Verkehrsinfrastruktur
- Reform des Vergabewesens – öffentliche Aufträge sind an hohe betriebliche Sozial-, Umwelt- und Gleichstellungsstandards zu koppeln
- Investitionen in die Energiewende – Förderung von Energiespar- und Energieeffizienzprogrammen, Ausbau erneuerbarer Energien, Kraft-Wärme-Koppelung …
- Einstieg in eine sozial-ökologische Steuerreform – Ökologischen Umbau unterstützen, Ressourcenverbrauch besteuern, Arbeit und ArbeitnehmerInnen entlasten
Europäische Union
- Keine Zustimmung zu bilateralen „Wettbewerbspakten“ und zur vertraglich verpflichtenden Umsetzung von neoliberalen Strukturreforme
- Verstärkter Einsatz für die Umsetzung der Finanztransaktionssteuer im Rahmen der erweiterten Zusammenarbeit sowie für Finanzmarktregulierungen auf EU-Ebene
- Herausnahme langfristiger Investitionen aus den rigiden Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts
- Verstärkter Einsatz im Kampf gegen Steueroasen, Steuerhinterziehung und für gemeinsame Mindeststandards bei der Unternehmensbesteuerung um Steuerdumping zu vermeiden
- Einsatz für Eurobonds und einer Reform des ESM hinsichtlich Transparenz, demokratische Kontrolle und Auflagen im Rahmen von Rettungsmaßnahmen (Wahrung sozialer Stabilität, Erhalt sozialer Sicherungssysteme, Stärkung von Steuergerechtigkeit)
- Einsatz für ein EU-weites Konjunkturprogramm in erneuerbare Energien, soziale Dienste und den sozial-ökologischen Umbau unseres Industriesystems
Arbeitswelt und Mitbestimmung
- Modernisierung des ArbeitnehmerInnen-Begriffs
- Arbeitsinspektorate aufwerten, Verbandsklagen ermöglichen
- Erarbeitung eines modernen Arbeitsrechts, das sich an realen Lebensentwürfen und Bedürfnissen orientiert – insbesondere unter Einbeziehung „atypischer“ Beschäftigungsformen
- Rechtsansprüche auf individuelle Auszeiten (Sabbaticals, Bildungskarenzen, Pflegekarenz …) sowie auf Teilzeit mit Rückkehrrecht auf Vollzeit
- Arbeitszeitverkürzung (Verkürzung der gesetzlichen Wochenarbeitszeit, progressiv steigenden Beiträge zur Arbeitslosen- und Krankenversicherung bei Überstunden etc.)
- Reform der Arbeitsverfassung: Stärkung betriebsrätlicher Mitbestimmungsrechte bei Ausgliederungen, Umstrukturierungen, bei Gewinnverwendung und Investitionen (Vetorecht).
Gleichstellung
- Offensive Frauenpolitik – öffentliche Aufträge nur an Unternehmen die aktiv Frauenförderung und Gleichstellungspolitik betreiben. Nutzung der gesetzlichen Mittel und der Förderinstrumente zum Schließen der Einkommensschere zwischen Männern und Frauen
- Einkommensberichte auch für den öffentlichen Sektor inklusive ausgegliederter Betriebe sowie für Unternehmen ab 50 MitarbeiterInnen.
- Aktive Frauenförderung (z.B. verpflichtende Quoten) zum Durchstoßen der gläsernen Decke in Wirtschaft, Politik und im Betrieb
- Förderung von Führung in Teilzeit
Familienpolitik
- Umsetzung eines einfachen Karenzgeldmodells das sich insbesondere am Einkommen orientiert (einkommensabhängig, mindestens Mindestsicherung) und die partnerschaftliche Aufteilung fördert
- Einführung eines Papamonats
- Klares Nein zum Familiensplitting
- Ausbau von sozialer Infrastruktur und Kinderbetreuungs-/-bildungseinrichtungen statt der steuerlichen Absetzbarkeit und weiterem Ausbau von familienbezogenen Transferleistungen
Integration
- Zusammenlegen von Aufenthaltserlaubnis und Zugang zum Arbeitsmarkt
- Gleichberechtigten Zugang von MigrantInnen zu sozialen und familienpolitischen Leistungen (sozialer Wohnbau, Familienbeihilfe, etc.)
- Herausnahme des Familiennachzugs aus der Einwanderungsquote
- Einschränkung der Saisonierregelung
- Einführung eines humanitären Bleiberechts mit allgemeingültigen, nachvollziehbaren Kriterien
- Öffnung des Arbeitsmarktzugangs für AsylwerberInnen
- Offensive zu „Integration durch Bildung – Bildung durch Integration“
Chancengerechtigkeit für Menschen mit Behinderung
- Sicherstellung von barrierefreien Arbeiten
- Gleichberechtigter Zugang zum Bildungssystem
- Schaffung bundeseinheitlicher Regelungen hinsichtlich persönlicher Assistenz in allen Lebensbereichen
- Ausweitung des Behindertengleichstellungsrechtes auf die Bereiche Bildung und öffentlicher Verkehr