Antrag 8 / Europa braucht ein neues Finanzmarktregime!

4. Änderungen der Rechnungslegungsvorschriften weg vom „market to market“-Prinzip, das falsche Anreize für ManagerInnen setzt und unrealistische Unternehmenswert widerspiegelt hin zu „vorsichtigeren“ Bilanzierungsregeln, die einer öffentlichen Diskussion zu unterziehen sind

5. Die Bewertung von Risken darf nicht am Markt existierenden Rating-Agenturen überlassen werden, sie ist von unabhängigen, öffentlich kontrollierten Agenturen wahrzunehmen. Zumindest aber dürfen sie nicht in einem regulierungsfreien Raum arbeiten, keinesfalls dürfen sie von jenen Unternehmen bezahlt werden, die raten.

6. Trockenlegung von Steueroasen und Offshore-Zentren: Diesen Plätzen ist die wirtschaftliche Grundlage zu entziehen. Es gibt keinen nachvollziehbaren ökonomischen Grund für die Aufrechterhaltung des ökonomischen Status dieser Territorien. Deshalb muss diesen Plätzen die wirtschaftliche Grundlage entzogen werden. Bis dahin sind unilaterale Maßnahmen zu ergreifen: Dazu gehört die Aufhebung des Bankgeheimnisses von Banken in ihrer Hoheitsgewalt, die Schließung von Bankentöchtern in Steueroasen und die Erhebung einer hohen Gebühr auf Transaktionen in Steueroasen und Offshore-Zentren.

7. Regulierung von Private Equity Fonds (PEF) und Hedgefonds (HEF):
Eigenkapitalvorschriften sind zu verschärfen, Hebelkredite müssen auf eine nachhaltige  Höhe begrenzt werden, PEF und HEF sind strengen Transparenzvorschriften zu unterwerfen. Reformen im Bereich der Corporate Governance wie dreifache Stimmrechte für Langfristanleger sind zu implementieren. Gewerkschaften und Stakeholder müssen pflichtgemäß in Unternehmensentscheidungen eingebunden werden, für die Belegschaftsvertretungen gilt es ein Vetorecht bei Übernahmen bzw. Beteiligungen durch PEF einzuführen. Die Geschäftstätigkeiten von Hochrenditefonds sind deutlich einzuschränken, die Zulassung von hochspekulativen Hedge Fonds gilt es überhaupt zu überprüfen.
8. Kürzung von Managergehältern in Banken und Versicherungen, wenn staatliche Mittel für deren Rettung aufgewendet werden müssen. Generelles Verbot von Stock options.

9. Der Status der Europäischen Zentralbank (EZB) ist zu ändern. Der Zielkatalog der EZB ist auf Beschäftigung, Erhalt der Kaufkraft und ein nachhaltiges Wachstum zu erweitern und ihre Zinspolitik entsprechend ausrichten. Besonders intelligente Empfehlungen wie jener zur Lohnzurückhaltung sind zu unterlassen da diese nicht in die Kompetenz einer Zentralbank fallen.

10. Der Stabilitäts- und Wirtschaftspakt sowie die ökonomisch nicht haltbaren starren Restriktionen der Maastrichtkriterien sind aufzuweichen bzw. überhaupt abzuschaffen: Budgetpolitik muss antizyklisch reagieren können, die makropolitische Koordination muss ausgebaut werden.

11. Das Wettbewerbsrecht ist dahingehend zu ändern, dass öffentliche Beteiligungen an Schlüsselindustrien bzw. –unternehmen problemlos ermöglicht werden.

 

Die schwere Finanzmarktkrise hinterläßt auch in Europa deutliche Spuren: Milliardenschwere Bankenrettungspakete wurden geschnürt und quer durch alle politischen Lager wird plötzlich der Ruf nach umfassenden Reformen laut. Selbst der politische Mainstream, der bislang noch den freien Markt als allein selig machende Instanz gepriesen hat sieht sich unter dem Druck der Krise gezwungen neue Finanzmarktregeln zu fordern. Das neoliberale Marktsystem hat eine schwere Erschütterung erlitten, die Glaubwürdigkeit in die Selbstheilungskräfte der Märkte ist – vorerst – einmal dahin. Das neoliberale System ist komplett diskreditiert. Damit öffnet sich tatsächlich ein „Window of opportunities“ das es nun zu nutzen gilt – für grundlegende, tiefgreifende Änderungen innerhalb des Finanzmarktregimes das einen klaren Bruch mit neoliberalen Ideologien darstellt.
Die Interessensvertretungen der ArbeitnehmerInnen sind in diesem Sinne besonders gefordert. Denn Reformen werden kontrovers diskutiert. Alles wird davon abhängen, wessen Interessen die Reformen bestimmen. Wenn Banker nach Staatsinterventionen rufen, meinen sie Sozialisierung der Verluste und Privatisierung der Gewinne. Wenn Banker über Reformen sprechen, meinen sich bestenfalls bruchstückhafte Re-Regulierung und kurzfristiges Krisenmanagement, das so bald als möglich eine Rückkehr zum „Business as usual“ erlaubt. Im Interesse der Mehrheit der BürgerInnen und der ArbeitnehmerInnen wird jedoch ein echter Paradigmenwechsel gebraucht: die Finanzmärkte müssen zu sozialer Gerechtigkeit, ökonomischer Stabilität und nachhaltiger Entwicklung beitragen. Die Krise der Finanzmärkte ist weder das Ergebnis unglücklicher Umstände, noch kann sie allein auf Fehler in der Aufsicht, bei den Rating-Agenturen oder das Fehlverhalten einzelner Akteure reduziert werden.
Die aktuelle Krise ist vor allem das Ergebnis der zunehmenden Verteilungsschieflage der letzten Jahre. Die Ansammlung gigantischer Vermögen auf der Suche nach lukrativen Veranlagungsmöglichkeiten hat dazu geführt, dass die Finanzinstitute mehr Geld in den Händen hatten als durch lukrative Investitionsprojekte absorbiert wurde, weshalb schließlich auch unsolide Kredite vergeben wurden, etwa an einkommensschwache Bevölkerungsgruppen, um Häuser auf Kredit zu kaufen, die sie sich eigentlich gar nicht leisten konnten. Statt unleistbare Kredite wären für diese Menschen staatliche Unterstützungsmaßnahmen oder sozialer Wohnbau nötig gewesen – finanziert aus Einkommens- und Vermögenssteuern. Nur durch staatliche Umverteilung zu den unteren Einkommensschichten wäre eine Kombination aus hoher privater Konsumnachfrage und nachhaltigem Wirtschaftswachstum möglich gewesen. Mehr Umverteilung kann das Entstehen von Finanzblasen verhindern. Mehr Umverteilung muss daher eine der zentralen Antworten auf die Finanzmarktkrise sein.
Spezielle Aufmerksamkeit hat aus Sicht der österreichischen ArbeitnehmerInnen der EU zu gelten. Europäische Verträge sind durchdrungen von neoliberalen Dogmen, wie etwa der Artikel 63 des Vertrags von Lissabon, der jegliche Restriktionen von Kapitalflüssen verbietet und damit die perfekte Bedingungen für den enormen Zugriff der Finanzmärkte auf die Gesellschaft schafft. Die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank, basiert nach wie vor auf monetaristischen Dogmen. Der restriktive Stabilitäts- und Wachstumspakt hat weniger Stabilität und Wachstum gebracht als vielmehr tiefe Einschnitte in die sozialen Sicherungsnetze, bzw. wurde von nationalen Regierungen gerne als Argument für eine restriktive Budget und Sparpolitik herangezogen.
Dennoch zeigt die Dimension der Krise, dass Nationalstaaten mit der Bewältigung derselben überfordert sind. Es hat sich auch gezeigt, dass die EU durchaus handlungsfähig ist, wenn es um Krisenmanagement geht. Nun geht es darum, den entsprechenden Druck aufzubauen, dass sich die EU tatsächlich in Richtung einer Sozial- und Beschäftigungsunion entwickelt. Die Legitimationskrise der EU in breiten Teilen der europäischen Bevölkerung sowie die vollkommene Diskreditierung des Neoliberalismus eröffnet neue Chancen. Diese gilt es nun offensiv zu nutzen – im Sinne der ArbeitnehmerInnen und BürgerInnen Europas.
Die …. Vollversammlung der AK-Wien möge daher beschließen:

Die globale Finanzmarktkrise droht auch die europäischen Volkswirtschaften in eine Rezession zu stürzen. Das Finanz- und Wirtschaftssystem in seiner neoliberalen Ausprägung hat sich als ökonomisch instabil und ineffizient und als schädlich für Gleichheit, die allgemeine Wohlfahrt und die Demokratie erwiesen. Darum sind systemische Veränderungen notwendig, keine bruchstückhafte Regulierung und kurzfristiges Krisenmanagement. Es geht um einen grundlegenden Paradigmenwechsel in der europäischen Finanz- und Wirtschaftspolitik die einen konsequenten Bruch mit bisher dominierenden neoliberalen Praktiken darstellt. Ein soziales, demokratisches Europa der ArbeitnehmerInnen und BürgerInnen muss darauf ausgerichtet sein, die Dominanz der Finanzmärkte über die Realökonomie zu brechen. Die EU braucht daher ein neues Finanzmarktregime.

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