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Antrag 01 – 30 Stunden sind genug – Arbeit fairteilen

der AUGE/UG – Alternative, Grüne und Unabhängige GewerkschafterInnen
zur 170. Hauptversammlung der Bundesarbeitskammer am 17. Juni 2021

Antrag mehrheitlich zugewiesen

Antragsbehandlung im BAK-Vorstand

Die 170. Hauptversammlung der Bundesarbeitskammer möge beschließen:

Die Bundesarbeitskammer setzt sich für eine generelle Verkürzung der
gesetzlichen Wochenarbeitszeit auf 30 Stunden bei vollem Lohn- und
Personalausgleich ein.

Wie bereits in den Krisen davor, ist es auch in der aktuellen, durch Corona bedingten Situation so, dass bereits vorhandene Probleme deutlicher hervortreten als unter Normalumständen. Und wie aus bereits bewältigten Krisen bekannt ist, lassen sich Verbesserungen danach nur dann erreichen, wenn man sie in der Nachbetrachtung nicht aus den Augen verliert. Unter diesem Aspekt wäre es auch höchst an der Zeit sich aktiv mit der längst überfälligen Reduktion der Wochenarbeitszeit auseinanderzusetzen und das aus
mehreren Gründen.

Genderspezifische Ungleichheit der Arbeitsverteilung
Aus aktuellen Erhebungen während des ersten Corona Jahres lässt sich ablesen, dass sich auch das Missverhältnis zwischen bezahlter und unbezahlter Arbeit noch verschärft hat: Im Schnitt arbeiteten Frauen pro Werktag um 2,5 Stunden unbezahlt mehr als Männer. Auch die höhere Flexibilität im Home Office hat die wirtschaftliche Ungleichheit der Frauen nicht verbessert. (4)

Bedenkt man, dass bereits in der Vergangenheit in Österreich unbezahlte Tätigkeiten, die der Planung und Bewältigung des sozialen Lebens dienen, zu gut zwei Drittel von Frauen geleistet wurden, liegt der Schluss nahe, dass es nicht die weitere Flexibilisierung ist, die hier Abhilfe schaffen kann: Frauen haben weniger Zeit für bezahlte Arbeit, haben in einer Erwerbsarbeit geringere Entlohnungen und erhalten nach Ende der Erwerbslebens, bedingt durch den höheren Teilzeitanteil, auch deutlich geringere Pensionen. Ein Teufels-kreis, der durch die höheren Anteile von Frauen in Kurzarbeit und in der Arbeitslosigkeit noch verschärft wird.

Des Weiteren steht zu befürchten, dass es nach der Krise wieder zu Sparmaßnahmen des Staates kommen wird. Hauptbetroffen von solchen Maßnahmen sind nicht zuletzt die Bereiche Betreuung von Kindern, Pflege und andere soziale Tätigkeiten. Jeder Wegfall in diesem Bereich kostet einerseits vermehrt Frauen bezahlte Arbeit und drängt andererseits diese Care-Arbeiten in den privaten Bereich zurück, wo diese wiederum unbezahlt von Frauen erledigt werden.

Eine Senkung der Wochenarbeitszeit auf 30 Stunden würde einerseits die dringend notwendige zeitliche Entlastung von Frauen ermöglichen ohne sie in eine Teilzeittätigkeit zu zwingen und hätte zusätzlich noch den positiven Effekt, dass damit auch jede unbezahlte, ehrenamtliche und für unsere Gesellschaft wertvolle Tätigkeit eine finanzielle Aufwertung bekäme.

Neben dem Argument der Ungleichheit zwischen den Geschlechtern, gibt es aber auch noch andere Aspekte, die für eine drastische Senkung der Wochenarbeitszeit sprechen.

Steigende Arbeitslosigkeit
Die derzeit hohen Arbeitslosenzahlen von mehr als einer halben Million und der hohe Anteil an Menschen in Kurzarbeit kosten dem Staat viel Geld. Expertinnen prognostizieren weitere Anstiege und setzen die Kosten dafür mit rund 15 Mrd. Euro pro Jahr an, die auch zu einer Finanzierung von einer Arbeitszeitsenkung investiert werden könnten, von der dann alle Erwerbstätigen profitierten und die auch die Arbeitslosenquote verringerte. (5)

Gesündere, produktivere und attraktivere Arbeitsplätze
Mittlerweile konnten die positiven gesundheitlichen und produktivitätsbezogenen Aspekte von reduzierter Arbeitszeit in der Praxis nachgewiesen werden. So zeigte eine Begleit-studie der Arbeitszeitumstellung von 38,5 auf 30 Stunden in der österreichischen Firma eMagnetix aus dem Jahr 2019 (6) , dass Belastungs- und Ermüdungserscheinungen zurück gingen, die
Zufriedenheit der Mitarbeiter*innen stieg und gleichzeitig die Effizienz der Arbeitsabläufe und die Produktivität anstieg. Als weiterer Aspekt erhöhte sich außerdem die Attraktivität des Betriebes für interessierte Bewerber*innen.

Aus all den genannten Gründen erschließt sich, dass es höchst an der Zeit ist, ein neues Modell der Arbeitszeitverteilung zu denken und umzusetzen.

(4) https://www.wu.ac.at/vw3/forschung/laufende-projekte/genderspezifscheeffektevoncovid-19 (abgerufen am 03.04.2021)
(5) https://kontrast.at/30-stunden-woche-solidaritaets-praemie-ams/ (abgerufen am 03.04.2021)
(6) https://www.gesundearbeit.at/cms/V02/V02_7.12.a/1342624220694/service/aktuelles/30-stunden-
woche-kann-das-funktionieren (abgerufen am 03.04.2021)

Resolution 02 – Für den Erhalt des Werkes und aller Arbeitsplätze bei MAN in Steyr

der AUGE/UG – Alternative, Grüne und Unabhängige GewerkschafterInnen
zur 170. Hauptversammlung der Bundesarbeitskammer am 17. Juni 2021

Antrag mehrheitlich abgelehnt

Die 170. Hauptversammlung der Bundesarbeitskammer möge beschließen:

  • Die Bundesarbeitskammer unterstützt die Beschäftigten in ihrem Bestreben nach einem Erhalt des MAN Produktionsstandortes in Steyr
    und aller seiner/ihrer Beschäftigten. Sie unterstützt alle Bemühungen der Beschäftigten, das Werk mit staatlicher Unterstützung und der des Landes Oberösterreich zu übernehmen und als selbstverwalteten Betrieb weiterzuführen.
  • Die Bundesarbeitskammer setzt sich für einen sozial-ökologischen
    Strukturwandel ein. Daher unterstützt sie auch die Belegschaften und
    Betriebsräte, wie auch die Arbeitnehmer*innen und Betriebsräte bei MAN, beim Umstieg zu einer sozial-ökologische Produktion.

Im Herbst letzten Jahres wurde bekannt, dass die neue Führung des MAN Konzerns
in München insgesamt 9.500 Mitarbeiter*innen in Deutschland und Österreich
kündigen wolle. Der Konzern beabsichtige eine Kostenreduktion und mittelfristig eine
Verbesserung des Ergebnisses von 1,9 Milliarden Euro. Von dieser Maßnahme wäre
auch das einzige Werk des MAN-Konzerns in Österreich in Steyr betroffen. Ihm
würde die Schließung drohen womit rund 2.400 Arbeitsplätze wegfallen würden.

MAN Truck & Bus Österreich GesmbH ist eine Tochtergesellschaft der MAN SE,
München, die wiederum eine Tochtergesellschaft (zu 94,36%) des börsennotierten
Traton SE Konzerns. Traton SE ist über eine Finanzbeteiligungsgesellschaft
mehrheitlich im Besitz des Volkswagen Konzerns.

Traton SE produziert mit seinen Marken Scandia, MAN, Volkswagen Caminhoes e
Omnibus und RIO Nutzfahrzeuge und Busse. Der Konzern beschäftigte Ende 2020
82.600 Mitarbeiter*innen in 29 Produktionsstandorten in 17 Ländern. Mitte 2018
wurde der Konzern von Volkswagen Truck & Bus in Traton umbenannt.

Vor einigen Jahren verhandelte der MAN Betriebsrat eine Standortgarantie bis zum Jahre 2030. Diese wurde letztes Jahr vom MAN Vorstand gekündigt. Die
Standortgarantie ist ein mächtiges Instrument in den Händen des Betriebsrates,
jedoch wird es von Seiten das MAN Managements als nicht mehr gültig angesehen. Es ist zu erwarten, dass die Standortgarantie Gegenstand von gerichtlichen Auseinandersetzungen sein wird.

Der Übernahmeplan von Siegfried Wolf
Der österreichische Investor und ehemalige Vorstand von Magna Austria Siegfried Wolf unterbreitete Anfang des Jahres dem MAN Management und den Beschäftigten das Angebot, das Werk in Steyr übernehmen zu wollen. Gemäß seinem Vorschlag sollten LKWs, Busse und Kleintransporter mit Elektroantrieb in Steyr produziert werden. Außerdem sollten Fahrgastzellen für den russischen Automobilkonzern GAZ, an dem Wolf einen zehnprozentigen Anteil hält, hergestellt werden.

Der Geschäftsplan von Wolf sieht vor, den Beschäftigtenstand von derzeit 2.000
fixen auf 1.400 Arbeitnehmer*innen (der Rest besteht offensichtlich aus
Leiharbeiter*innen) zu reduzieren sowie Gehaltskürzungen im Ausmaß von 15
Prozent. Das Gehaltsniveau der MAN Beschäftigten sei aktuell im Durchschnitt weit über dem Kollektivvertragslöhnen und -gehältern, so Wolf.

In einer Urabstimmung der MAN Beschäftigen am 8. April, an der sich 2.215
Mitarbeiter*innen (Beteiligungsgrad: 94 %) beteiligten, sprachen sich 63,9 % gegen den Vorschlag von Wolf aus. Für viele Beteiligte und Beobachter*innen war das ein unerwartetes Ergebnis. Die österreichische Arbeiterklasse hatte nach vielen Jahren zum ersten Mal ein deutliches Zeichen gesetzt. Die Beschäftigten von MAN waren nicht mehr bereit, sich den Drohungen von MAN und von Sigi Wolf zu unterwerfen. Sie wollten nicht nur Kostenbestandteile in diesem Werk sein, das immerhin auf eine 200jährige Industriegeschichte zurückblicken kann. Es war auch ein Signal an den MAN Vorstand, die Bedingungen der Standortgarantie zu erfüllen.

Volkwirtschaftliche Verluste bei einer Schließung des Steyr Werkes
In einer Studie des emeritierten Univ. Prof. Dr. Friedrich Schneider von der
Johannes-Kepler-Universität Linz vom 12. April wurden die volkwirtschaftlichen
Konsequenzen einer Schließung des MAN Werkes in Steyr geschätzt. Negative
Effekte würden sich zu 75 % auf Ober- und Niederösterreich konzentrieren. Die
Schließung würde in einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts von 957 Millionen Euro und einem Verlust von 8.400 Arbeitsplätzen inklusive der im MAN Werk führen.

Es steht für die Bundesarbeitskammer außer Zweifel, dass das Werk in Steyr und alle Arbeitsplätze gerettet werden müssen. Das gilt auch für die Leiharbeiter*innen, die bereits von ersten Kündigungen betroffen sind. Eine Schließung würde für die Stadt Steyr, für die Region und für die betroffenen
Bundesländer katastrophale Konsequenzen haben. Nicht nur, dass Arbeitsplätze
verloren gehen würden, mit dem Verlust der Einkommen der arbeitslosen
Kolleg*innen würden viele andere Arbeitsplätze in der unmittelbaren Nähe aber auch in der Region unmittelbar gefährdet bzw. verloren gehen, wie aus der Untersuchung von Prof. Schneider hervorgeht. Betroffen wären nicht nur Zuliefererbetriebe, sondern auch Infrastrukturbetriebe wie z.B. der Einzelhandel oder die Gastronomie.

Die Träume vieler Menschen z.B. nach einem Eigenheim, einer gesicherten Zukunft wären mit einem Mal zerstört. Der Know-How Verlust wäre enorm. Die
hochqualifizierten Mitarbeiter*innen würden sukzessive ihrer Kenntnisse verlustig, Millionen von Euro, die in die Bildung, Ausbildung und Weiterqualifikation investiert wurden, wären verloren.

Selbstverwaltung
Daher gilt es, die Produktion am Standort Steyr aufrecht zu erhalten. Die
Beschäftigten des Werks in Steyr sollen den Betrieb übernehmen und in Eigenregie weiterführen. Das Startkapital soll aus der durch die Stadtortgarantie zugesicherten Lohnsumme bis 2030 sowie industriepolitischer Subventionen durch Bund und Land kommen. Der Geschäftsplan ist im Sinne einer just transition, also einem gerechten Übergang zu einer sozial-ökologischen Transformation der Produktpalette anzulegen, die Kenntnisse und Qualifikationen der Beschäftigten in Steyr sollen als Basis eines Geschäftsplanes dienen. Insofern könnte die Produktion von Kleinen LKWs, Laster und Bussen auf einer nachhaltigen Antriebsbasis, vorzugsweise von Wasserstoff, zur Anwendung kommen.

Die Ausrichtung der Produktpalette wäre realistischer Weise auf Nischen- und/oder Spezialprodukte zu orientieren. Ein Mitmischen im Wettbewerb in dem oligopolistisch aufgeteilten Markt für LKWs und Nutzfahrzeuge wäre angesichts nicht zu erreichender economies of scale wohl aussichtslos. Die Entscheidung über den Geschäftsplan soll aber durch die Beschäftigten von Steyr fallen.

Die beste Lösung wäre eine staatliche Beteiligung am Unternehmen und eine
Mitarbeiterbeteiligung. Der Staat soll nur als Investor auftreten. Als Rechtsform sollte eine Genossenschaft gewählt werden, in der nur die Beschäftigten  nach dem Prinzip: eine Person eine Stimme ein Stimmrecht haben sollten. Die Beschäftigten sollen ihr Management selbst bestimmen bzw. wählen können.

Es soll keine Möglichkeit der Mitarbeiter*innen im neuen Werk geben, seine/ihren Anteil/Stimme zu verkaufen. Wenn er/sie das Beschäftigungs-verhältnis mit dem neuen Werk in Steyr beendet, verfällt sein/ihr Anteil an die Allgemeinheit der Beschäftigten des Steyr Werkes. Gewinne dürfen nicht ausbezahlt werden, sie müssen thesauriert werden.

Das Ziel ist, das neue Unternehmen aus dem Profitkreislauf herauszunehmen, um sozial-ökologisch vertretbare Produkte zu produzieren und die Arbeitsplätze in Steyr bzw. in der Region zu erhalten. Das neu zu bildende Steyr Werk könnte dazu ein Vorbild sein.

Resolution 01 – Ethik in der Arbeitswelt

der AUGE/UG – Alternative, Grüne und Unabhängige GewerkschafterInnen
zur 170. Hauptversammlung der Bundesarbeitskammer am 17. Juni 2021

Antrag mehrheitlich zugewiesen

Antragsbehandlung im BAK-Vorstand

Die 170. Hauptversammlung der Bundesarbeitskammer möge beschließen:

  • Die Bundesarbeitskammer bekennt sich zu einer Ethik der Arbeitswelt.
    Sie umfasst das Recht auf menschenwürdiges Arbeiten und setzt sich
    für ein an sozialen und ökologischen Kriterien orientiertes
    Wirtschaftssystem ein.
  • Mit den Ressourcen der Bundesarbeitskammer sollen Modelle einer den Menschenrechten folgenden, auf Gleichberechtigung ausgerichteten, sozialen und gesunden Arbeitswelt entwickelt werden.
  • Dabei sind Transparenz, Informations- und Wissensvermittlung wesentliche Faktoren, um menschenwürdige Arbeit zu ermöglichen.

Insbesondere wird die Bundesarbeitskammer aufgefordert,

  • die Auswirkungen von Ökonomisierungs-, Digitalisierungs- und
    Deregulierungsprozessen auf Arbeitsbedingungen und Arbeitsinhalte zu erforschen, einen breiten Diskussionsprozess über diese Themen zu
    initiieren und dabei gewonnene Erkenntnisse in Gesetzesinitiativen
    einzubringen.
  • Beratungs- und Interventionsstellen zu schaffen, die Arbeitnehmer*innen und Betriebsrät*innen zur Verfügung stehen, wenn sie mit unethischen, Menschen und Umwelt schädigenden, ausschließlich an ökonomischem Nutzen orientierten Arbeitsbedingungen konfrontiert sind, oder durch Digitalisierung und Deregulierung eine Entwertung ihrer Arbeit erfahren.
  • Zudem wird die Bundesarbeitskammer aufgefordert, sich dafür
    einzusetzen, dass die Mitwirkungsrechte von Arbeitnehmer*innen und
    Betriebsrät*innen bei der Gestaltung von Arbeitsstrukturen und
    Arbeitsinhalten in den entsprechenden Gesetzen ausgeweitet werden.

Die Forderung nach einem guten Leben für alle charakterisiert seit einiger Zeit
gewerkschaftliche Organisation und Vertretung von Arbeitnehmer*innen-Interessen. Auch die Internet-Startseite der AK Wien stellt dieses einprägsame Leitmotiv ins Zentrum ihrer Informationsvermittlung.

Das gute Leben für alle verlangt nach einer Ethik der Arbeitswelt: Ethik ist jene
philosophische Teildisziplin, die seit der Antike die Frage nach einem guten,
gelungenen Leben und den ihm zugrundeliegenden, handlungsleitenden Werten
stellt. Auf Arbeit bezogen bedeutet diese Auseinandersetzung beispielsweise
Produktionsprozesse kritisch zu hinterfragen und auf allen Ebenen Orientierungshilfen zu entwickeln, deren Maxime nicht weniger als das gute Leben für alle ist.

Arbeiterkammern, Gewerkschaften und NGOs haben sich daher erst vor kurzem in einer europaweiten Kampagne mit der Verantwortung der Unternehmen für
menschenrechtswidrige und umweltschädigende Aktivitäten entlang ihrer Lieferketten, unabhängig davon, ob sich ihre Subunternehmen und Zulieferer in oder außerhalb der EU befinden, befasst. Denn das gute Leben für alle ist nicht teilbar, ebenso wenig wie die Grund- und Menschenrechte, die es ermöglichen.

Doch die Frage nach ethisch guter Arbeitsorganisation stellt sich nicht nur im
Zusammenhang mit der Ausbeutung von Menschen in Drittstaaten. Auch hier in
Europa und Österreich sind wir immer wieder von Neuem mit ethischen Problemstellungen konfrontiert, insbesondere wenn Ökonomisierung, Digitalisierung und Deregulierung Produktion und Dienstleistung dominieren.

Ökonomisierung
Die neoliberale Wirtschaftsideologie der letzten Jahrzehnte brachte mit sich, dass sämtliche Arbeitsfelder, inklusive Soziale Arbeit, Bildung, Kultur und Gesundheitswesen durchgängig von ökonomischen Gesichtspunkten dominiert wurden. Im Vertrauen auf die Wirksamkeit betriebswirtschaftlicher Instrumente wurde ökonomisch messbare Nützlichkeit annähernd überall zum obersten Leitprinzip erhoben. Darüber hinaus führte die Krise auf dem Arbeitsmarkt in der letzten Zeit zu einem gesteigerten Konkurrenzdruck.

Unter der Ausnutzung von Gesetzeslücken konnten große Konzerne in den letzten Monaten ihre Marktmacht ausbauen und auf Kosten der Arbeitnehmer*innen Rekordgewinne einfahren. Die Verletzung von arbeitsrechtlichen Bestimmungen, prekäre Beschäftigungsverhältnisse, massiver Arbeitsdruck bis hin zu Disziplinierungsmaßnahmen und permanenter Überwachung der Arbeitsleistung bei schlechter Entlohnung wurden zu ‚normalen‘ Begleiterscheinungen. Die Interessen der Beschäftigten, eine demokratische Betriebskultur, die Mitwirkung von Belegschaftsvertretungen fielen der Profitgier großer Konzerne zum Opfer.

Eine auf Profitmaximierung ausgerichtete Wirtschaftsweise wirkt zerstörend auf
Umwelt und Menschenrechte und fördert Ungleichheit. Und die Zerstörung des
Ökosystems durch die neoliberal gesteuerte, rein ökonomische Globalisierung der letzten Jahrzehnte ist darauf ausgerichtet, noch weit größere Krisen hervorzurufen, als wir sie gegenwärtig erleben.

Spätestens seit Ausbruch der Coronapandemie wird deutlich, dass Werte wie
Kooperation, Solidarität und ein achtsamer Umgang mit den Bedürfnissen der
Menschen zur Problembewältigung beitragen, während die neoliberale Ideologie der Ökonomisierung aller Lebensbereiche in der Krise versagt.

Übertragen auf die Arbeitswelt verlangt diese Erkenntnis in Betrieben und
Organisationen eine Ethik der Mitbestimmung, Fairness und Kooperation. Im Sinne des guten Lebens für alle muss die Erarbeitung sinnvoller Ergebnisse ermöglicht werden. Beispiele für sinnvolle Arbeitsergebnisse aufgrund ethischer Entscheidungen in der Arbeitswelt sind die Produktion und Wiederverwertung nachhaltig funktionsfähiger Produkte, die in einer Kreislaufwirtschaft CO2-sparend genützt werden können, sowie soziale Dienstleistungen, die über kurzfristige statistische Erfolge hinaus langfristig wirksam zur Lösung sozialer Probleme beitragen. Eine Ausweitung des Arbeitnehmer*innen-Schutzes und der Arbeitsverfassung sollte zur Verankerung dieser Werte beitragen und der Forderung nach dem guten Leben für alle die zu ihrer Durchsetzung nötigen Instrumente hinzufügen.

Digitalisierung
Der jüngste Digitalisierungsschub, ausgelöst durch die Corona Pandemie, sorgt in der Arbeitswelt für veränderte Realitäten. Schneller als angenommen, stellen wir uns neuen Herausforderungen: Viele von uns arbeiten im Homeoffice, E-Mails, Chats und vielfältige Videotools wurden zu unseren wichtigsten Arbeitswerkzeugen.

Schon vor dieser Digitalisierungswelle wurden Arbeitsabläufe mittels Prozess- und Qualitäts-Management zunehmend nach dem Vorbild von Computer-programmen entworfen und angeordnet. In weiterer Folge wurden Arbeitsabläufe strengen Standards unterworfen und die Arbeit mittels Algorithmen zugeordnet, eingeordnet und dokumentiert. Von Digitalisierungs- und Rationalisierungsexpert*innen werden Standardmodelle entwickelt und entwerten sowohl die Teamarbeit als auch die Eigenständigkeit der Menschen bei der Erarbeitung von Arbeits-Ergebnissen. Mit Auswertung und Bewertung wird, bis hin zur Umstrukturierung von Unternehmen, Digitalisierung ohne Beachtung ethischer Kriterien vorangetrieben.

Die technischen Möglichkeiten engmaschiger Kontrolle der Arbeitnehmer*innen
sowie der ununterbrochenen Auswertung und Bewertung ihrer Arbeitsleistung
werden durch Digitalisierung fortlaufend erweitert. In immer kürzeren Abständen stehen Interessenvertretungen vor der Aufgabe, klare Grenzziehungen zum Schutz der Persönlichkeitsrechte der Mitarbeiter*innen vorzunehmen.

Die spezifische Sensibilisierung und Qualifizierung von Betriebsrät*innen, die
zunehmend damit befasst sind, Betriebsvereinbarungen zur Begrenzung technischer Überwachungs- und Bewertungs-Möglichkeiten zu verhandeln, wird zu einer immer dringenderen Herausforderung.

Auch hier sind ethische Fragen grundlegend und handlungsleitend: Wie kann
Digitalisierung Arbeit unterstützen, wie kann verantwortungsvolle und ressourcenschonende Nutzung gefördert und fremdbestimmte Gleichschaltung der Mitarbeiter*innen verhindert werden?

Auch in diesem Zusammenhang ist zu prüfen, ob die vorhandenen gesetzlichen
Bestimmungen noch genügend Handhabe bieten, die Persönlichkeitsrechte der
Arbeitnehmer*innen in einer digitalisierten Arbeitswelt zu schützen. Handlungs-
leitende Werte wären dabei Transparenz und Wissensvermittlung, die den Arbeitnehmer*innen kompetente Kontrolle über ihre Arbeitsmittel und ihren
Arbeitsplatz ermöglichen. Unverzichtbare Voraussetzungen sind auch hier Mitsprache und die Chance, den Einsatz von Technologien ethisch zu reflektieren, zu bewerten und mitzugestalten.

Deregulierung
Im Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte sind die UN-Mitgliedsstaaten vor Jahrzehnten übereingekommen, dass „Bildung auf die volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit und des Bewusstseins ihrer Würde gerichtet sein und (…) es allen Menschen (1) ermöglichen muss, eine nützliche Rolle in einer freien Gesellschaft zu spielen“. (2)

Als wesentlicher Teil der Gesellschaft sollte die Arbeitswelt von diesem Menschenrecht auf Bildung und deren sinnvolle Anwendung nicht ausgenommen sein.

Deregulierungsprozesse in öffentlichen und privaten Unternehmen und Institutionen haben jedoch dazu geführt, dass Arbeitnehmer*innen unter dem Schlagwort ‚Flexibilität‘ aufgefordert werden, Tätigkeiten durchzuführen, für die sie nicht qualifiziert sind, bzw. ihre Qualifikation, ihr Wissen und ihre Erfahrung zugunsten betriebswirtschaftlicher Kostenreduktions-Pläne zurückzustellen. So werden beispielsweise im Sozialbereich Beratungen und Hausbesuche zunehmend nicht mehr von ausgebildeten Sozialarbeiter*innen, sondern von administrativen und anders qualifizierten Mitarbeiter*innen durchgeführt. Damit vergleichbar, wird im Pflegebereich die Arbeit „am Krankenbett“, also die direkte Pflege von Menschen, an die Mitarbeiter*innen-Gruppen mit der kürzesten Ausbildung delegiert, während qualifizierte Krankenpflege zunehmend in ‚Management‘ und medizinischer Assistenz verortet wird.

Die ständige Flexibilitäts-Anforderung mag Personalentwicklungsmaßnahmen nach sich ziehen, also vordergründig bildungsfördernd erscheinen, entwertet aber auch Ausbildung, Erfahrung und die Fähigkeit zu selbstverantwortlichem, qualifiziertem Handeln: Beliebig einsetzbare ‚flexible Mitläufer*innen treten an die Stelle kreativer, zur Reflexion fähiger Fachkräfte.

Selbstverständlich spielt auch hier Digitalisierung eine wesentliche Rolle: Die
Dokumentation der Leistungen der Arbeitnehmer*innen wird zwar für den Modulbau ‚unterstützender‘ Software verwendet, führt aber allzu oft dazu, dass Arbeitnehmer*innen mit einer technischen Ausstattung konfrontiert sind, die ihre Leistungen zerstückelt und in kleine Arbeitspakete aufteilt, die auch ohne spezielle Ausbildung durchgeführt werden können. Das macht die automatisierte Arbeit monoton und bis hin zur Dequalifizierung der Durchführenden unkreativ. Auf jeden Fall ist sie für die Dienstgeber-Seite kontrollierbar.

In Stellenausschreibungen finden sich neue, vorwiegend englischsprachige
Berufsbezeichnungen. Veränderte Berufsbezeichnungen verschleiern oftmals Stellen mit schlechterer Bezahlung, was erst bei näherer Analyse als getarntes Lohndumping erkennbar wird.

Ein weiterer Deregulierungsprozess betrifft den Arbeitsort: Unternehmer*innen haben in der Coronakrise festgestellt, dass sich durch Homeoffice Kosten für Büroraum und -ausstattung ebenso wie Betriebskosten einsparen lassen. Arbeitnehmer*innen stellen ihren privaten Wohnraum als außerbetriebliche Arbeitsstätte zur Verfügung und nehmen eine Steigerung des privaten Energieaufwandes und das Risiko ungeklärter Haftungs- und Versicherungsfragen in Kauf.

Für die Interessenvertretung der Arbeitnehmer*innen ergibt sich daraus ein beträchtlicher Handlungs- und Regelungsbedarf. Aktuell werden in zahlreichen Unternehmen und Organisationen Betriebsvereinbarungen zum Thema ‚Homeoffice‘ verhandelt. Eine stärkere betriebs- und branchenübergreifende Kooperation wäre bei der Bewältigung dieser Aufgabe zweifellos hilfreich.

Dass Homeoffice von vielen Arbeitnehmer*innen als positiv erlebt wird, weil die
Arbeitsorganisation weniger als fremdbestimmt, Hierarchie weniger als einengend und Kooperation als weniger konfliktreich erlebt wird, sollte weitere Hinweise auf eine notwendige Ethik der Arbeitswelt geben.

Die Deregulierung der Arbeit führte außerdem zu einer rasanten Zunahme prekärer Arbeitsverhältnisse. Die Coronakrise führt deutlich vor Augen, wie schnell Prekarisierung und Scheinselbständigkeit in die Armut führen können. Ein Beispiel dafür ist die fehlende Absicherung vieler Kulturarbeiter*innen während der pandemiebedingten Lock-Downs.

Kenntnis, Beachtung und Überprüfung der Umsetzung europäischer und inter-
nationaler Vereinbarungen zum Schutz von Arbeitnehmer*innenrechten sollte
wesentlich zur Ethik der Arbeitswelt beitragen. Die Europäische Säule Sozialer
Rechte verlangt beispielsweise in Kapitel 2, Absatz 5, dass „Beschäftigungs-
verhältnisse, die zu prekären Arbeitsbedingungen führen, (…) unterbunden (werden), unter anderem durch das Verbot des Missbrauchs atypischer Verträge.“ (3)

Das gute Leben für alle erfordert eine Ethik der Arbeitswelt, die sicherstellt, dass
Menschen ihre Kenntnisse, ihre Berufs- und Lebenserfahrung, ihre Qualifikationen und Problemlösungskompetenzen in sinnvolle Arbeitsprozesse einbringen können, und dafür Wertschätzung erfahren – sowohl in materieller Hinsicht, als auch in Form von ernst gemeinter Anerkennung und Einbeziehung in Entscheidungsprozesse. Die sozialstaatliche Absicherung muss allen zugutekommen und muss der Tatsache, dass immer mehr Menschen durch Sozialversicherungssysteme unzureichend geschützt sind, durch entsprechende gesetzliche Maßnahmen entgegenwirken. Hier geht es um den ethischen Wert der sozialen Inklusion aller als Voraussetzung für ein gutes Leben.

Schlussbemerkung
In diesem Text war bisher undifferenziert von ‚Arbeitnehmer*innen‘ bzw. ‚Menschen‘ oder ‚allen‘ die Rede. Es ist jedoch erforderlich, alle Maßnahmen, auch die Verbesserung gesetzlicher und organisatorischer Rahmenbedingungen für eine Ethik der Arbeitswelt immer auf ihre Auswirkung auf Frauen und Männer und deren Gleichstellung zu prüfen. Darüber hinaus bleibt Frauen-Förderung auch in ethischer Hinsicht, vor allem im Hinblick auf soziale Gerechtigkeit eine Notwendigkeit. So lange Frauen benachteiligt werden, bleibt das gute Leben für alle theoretisch und illusionär.

(1) Im Originaltext: „jedermann“.
(2) Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Staatsvertrag), Artikel 13, 1 https://www.ris.bka.gv.at/ Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte – Bundesrecht konsolidiert, aufgerufen am 17.3.2021.
(3) Europäische Union: Die europäische Säule sozialer Rechte in 20 Grundsätzen, Kapitel II: Faire Arbeitsbedingungen, 5. Sichere und anpassungsfähige Beschäftigung.
https://ec.europa.eu/info/strategy/priorities-2019-2024/economy-works-people/jobs-growth, aufgerufen am 17.3.2021.

Gemeinsamer Antrag Nr 2 – Aktualisierung der Berufskrankheitenliste

der Fraktion Sozialdemokratischer GewerkschafterInnen,
der Alternativen, Grünen und Unabhängigen GewerkschafterInnen,
des Gewerkschaftlichen Linksblocks und
der Kommunistischen Gewerkschaftsinitiative-International
zur 176. Vollversammlung der Arbeiterkammer Wien am 11. November 2021

Antrag einstimmig angenommen

Antragsbehandlung im Ausschuss Soziale Sicherheit und gesellschaftlicher Zusammenhalt

Die 176. Vollversammlung der Arbeiterkammer Wien möge beschließen:

Die 176. Vollversammlung der Arbeiterkammer Wien fordert die Bundesregierung auf, die Berufskrankheitenliste zu aktualisieren:

  • COVID-19 in Zeiten der Pandemie in allen Berufsgruppen als Berufskrankheit anzuerkennen, bei denen persönliche Kontakte oder Kontakt mit potentiell kontaminiertem Material nicht vermieden werden können und in diesem Zusammenhang Beweiserleichterungen zu normieren, wenn die berufliche Ansteckung wahrscheinlich ist.
  • Die Liste der Berufskrankheiten ist nach gendergerechten Aspekten zu gestalten.
  • Eine Überarbeitung der Liste, und im besonderen im Bereich der Muskel – und Skeletterkrankungen und von arbeitsbedingten psychischen Krankheiten, ist vorzunehmen.
  • Weißer Hautkrebs bzw. Hautkrebs durch solarbedingte UV-Exposition, Erkrankungen des Bewegungs- und Stützapparates und das Karpaltunnelsyndrom sind als Berufskrankheit anzuerkennen.
  • Der im § 177 ASVG verankerten Unterlassungszwang bei Hautkrankheiten ist zu streichen.
  • Die Einschränkungen von Geltungs- oder Tätigkeitsbereichen in der Liste der Berufskrankheiten ist zu streichen.
  • Die Prävention im Bereich berufsbedingter Erkrankungen und Berufskrankheiten muss deutlich ausgebaut werden.

Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung werden bei Vorliegen eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit erbracht. Als Berufskrankheiten gelten nur die in einer Anlage zum Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz (Anlage 1 zum ASVG) aufgezählten Krankheiten. Während auf der österreichischen Berufskrankheitenliste nur 53 anerkannte Berufskrankheiten zu finden sind, umfasst die deutsche BK-Liste derzeit 80 Erkrankungen. Eine Begründung warum die deutsche BK-Liste umfangreicher ist, ist der Weg wie Berufskrankheiten auf diese Liste kommen. Während es in Deutschland ein ExpertInnengremium gibt, das nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen prüft und den Aktualisierungsprozess bestimmt, fehlt ein solches Gremium in Österreich.

In Österreich ist die Liste dominiert von Erkrankungen, die durch diverse Schadstoffe verursacht sind. Bei der Anerkennung von Berufskrankheiten zeigen sich dadurch auch große geschlechterspezifische Unterschiede – es werden insgesamt deutlich weniger Berufskrankheiten bei Frauen anerkannt. Krankheiten wie Asbestose oder Lärmschwerhörigkeit treten häufig in männerdominierten Branchen, wie in der industriellen Fertigung oder auf dem Bau, auf. Besonders auffällig sind die geschlechterspezifischen Unterschiede, gemessen an der Anzahl der Anträge auf Anerkennung als Berufskrankheit bei Asbestose und den bösartigen Neubildungen des Rippenfells, des Herzbeutels, des Bauchfells, der Lunge und des Kehlkopfes durch Asbest: Hier sind die Anträge der weiblichen Versicherten im ein- oder maximal zweistelligen Bereich, während die Zahl bei den männlichen Versicherten im hohen zwei- bzw dreistelligen Bereich liegt.

Auch im Bereich der Muskel- und Skeletterkrankungen und der arbeitsbedingten psychischen Krankheiten besteht dringender Handlungsbedarf; zu beiden Themenkreisen gibt es klare wissenschaftliche Erkenntnisse, die eine berufliche Kausalität der gesundheitlichen Folgen nachweisen.

Ein weiterer Punkt betrifft die Anerkennung des Weißen Hautkrebs als Berufskrankheit; hervorgerufen wird dieser durch die natürliche UV-Strahlung, weshalb besonders sogenannte „Outdoor-Worker“ davon betroffen sind. In Deutschland findet sich diese Erkrankung bereits seit 1.1.2015 auf der BK-Liste. In den Jahren 2017, 2018, 2019 gab es in Deutschland durchschnittlich 3.969 Anerkennungen von „Weißem Hautkrebs“ als Berufskrankheit, umgerechnet auf Österreich müssten hierzulande etwa 400 Fälle pro Jahr auftreten.

Abschließend sind Änderungen betreffend die Anerkennung von COVID-19 als Berufskrankheit dringend geboten: Die Anerkennung einer Sars-CoV-2 Infektion als Berufskrankheit ist grundsätzlich unter der Nummer 38 der Berufskrankheitenliste „Infektionskrankheiten“ denkbar. Nach der aktuellen Rechtslage sind Infektionskrankheiten aber nur für bestimmte Berufsgruppen als Berufskrankheit anerkannt. Zu den sogenannten Listenunternehmen zählen ua Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen, öffentliche Apotheken, Schulen und Kindergärten. Alle anderen Berufsgruppen haben nur dann eine Aussicht auf Anerkennung einer Covid-19-Infektion als Berufskrankheit, wenn es sich um eine Tätigkeit in einem „vergleichbar gefährdeten Unternehmen“ handelt. Besonders bei schweren Krankheitsverläufen oder wenn Betroffene an Long Covid leiden, fehlt dann die finanzielle Unterstützung und Versorgung durch die Unfallversicherung.

Antrag 10 – Steuerreform verbessern!

der AUGE/UG – Alternative, Grüne und Unabhängige GewerkschafterInnen
zur 176. Vollversammlung der Arbeiterkammer Wien am 11. November 2021

Antrag mehrheitlich zugewiesen:
GA, LP, ARGE, GLB, Türk-is, Kom.: ja
FSG: für Zuweisung
ÖAAB, FA, FAIR: nein

Antragsbehandlung im Ausschuss Wirtschafts- und Finanzpolitik

Die 176. Vollversammlung der Arbeiterkammer Wien möge beschließen:

Die Vollversammlung der AK Wien fordert den Gesetzgeber auf, die aktuelle Steuerreform dahingehend zu optimieren bzw. zu verbessern, dass

  • der CO2-Preis höher ist und bis 2025 auf mind. auf 150 Euro pro Tonne CO2 steigt.
  • der Familienbonus überarbeitet wird, sozial treffsicherer gestaltet wird und nicht hauptsächlich Männern und Besserverdienenen zu Gute kommt.
  • Steuerprivilegien, welche die Nutzung von fossilen Energieträgern subventionieren, abgeschafft werden, die Umverteilung der neuen Steuern vorwiegend nach sozialen Kriterien erfolgt, Energiearmut verhindert und nicht in erster Linie Besserverdienende und Unternehmen zu gute kommt.

Eine ökosoziale Steuerreform wurde von der aktuellen Bundesregierung als wichtiger Meilenstein und großer Wurf angekündigt. Von diesem Prestigeprojekt ist aber wenig übriggeblieben, wie wir auch in unserer Presseaussendung kritisiert haben. Die vorgelegte Reform bleibt weit hinter den Erwartungen zurück.
Im nun adaptierten Steuersystem wird zwar ein Hebel für eine ökologische Transformation geschaffen, für einen ernsthaften Kurswechsel bleibt dieser allerdings viel zu schwach. Mit einem CO2-Preis von € 30,- pro Tonne und im Endausbau € 55,- ist kein Lenkungseffekt zu erwarten. Dieser zögerliche Einstieg wird sich rächen. Die akute Bedrohung durch den Klimawandel würde einen weitaus ambitionierteren Ansatz notwendig machen. Wenn durch eine Steuerreform ein Lenkungseffekt erzielt werden soll, dann braucht es laut einhelliger Meinung der Wissenschafter*innen einen Preis von mindestens € 100,- pro Tonne CO2.
Es ist auch inakzeptabel, dass mit Regelungen wie dem Dieselprivileg und der Pendlerpauschale weiterhin klimaschädliches Verhalten in Milliardenhöhe gefördert wird. Es braucht endlich eine Abkehr von fossilen Brennstoffen und deren Subventionierung, damit wir die Pariser Klimaziele erreichen und unseren Planeten lebenswert erhalten.

Klimabonus wenig treffsicher
Der Klimabonus ist nur wenig treffsicher gestaltet. Nicht nur die regionale Unterscheidung in der Höhe, sondern auch die Nichtberücksichtigung von individuellen Belastungen bzw. sozialen Kriterien sind unverständlich. So bleibt die Gefahr von Energiearmut, etwa im Zusammenhang mit nicht finanzierbaren Heizkosten im Winter, unberücksichtigt.

Familienbonus: Besserverdienende bevorzugt
Die Erhöhung des Familienbonus und die Senkung der mittleren Tarifstufen bei der Einkommenssteuer nutzen vor allem Besserverdienenden. Etwa 40 % der Menschen in Österreich zahlen Mehrwert-, aber keine Einkommensteuer. Ihre Einkommen sind aufgrund von geringen Löhnen oder Teilzeitbeschäftigung so gering, dass sie keine Einkommensteuer zahlen. Das schlägt sich beim Familienbonus nieder, den nur jene voll beziehen, die entsprechend Einkommensteuer bezahlen. Die Erhöhung für Alleinerziehende auf € 400,- ist zwar wichtig, kann aber aufgrund von wenigen Anspruchsberechtigten nicht als allgemeine Entlastung für Geringverdienende herhalten.

Massive Geschenke für die Wirtschaft
Die großen Gewinner der Steuerreform sind die Unternehmen, die Steuersenkungen von € 1 bis 1,5 Mrd. ohne Gegenleistung erhalten. Dabei sind unsere Steuern Bausteine für ein gutes Zusammenleben und den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Gerade die Corona-Krise brachte für viele zusätzliche finanzielle Lasten. Es wäre nur gerecht, wenn jene, die am meisten haben, auch mehr zur Steuerreform beitragen. Die stufenweise Senkung der Körperschaftsteuer kostet die Allgemeinheit rund € 800 Millionen, davon profitieren hauptsächlich große Konzerne. Dabei sind die Einnahmen dringend notwendig für Investitionen in Pflege und Gesundheit, Green Jobs, Ausbau der Kindergärten, Existenzsicherung für Arbeitslose, Bildung und öffentlichen Verkehr.